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Symphonie in Schwarz

Kunst- und Kulturgeschichten

Gelassen blickt uns eine junge, sitzende Frau an. Gesicht und Hände leuchten aus dem schwarzen Grund, vor dem die schwarz Gewandete sitz, hervor. Ihr intensiver Blick ist nicht unangenehm und von vitaler Angespanntheit. Dass sie gelassen wirkt, kann man vor allem aus der Haltung ihrer Hände schließen, die ebenso wie das Gesicht aus dem Dunkel des Bildes leuchten. Schnell fängt ein nebensächliches Utensil die Aufmerksamkeit: eine brennende Zigarette mit sich kräuselndem Rauch, die sie lässig zwischen den Fingern ihrer Rechten steckt. Wer mag die junge Frau sein, die da so selbstbewusst aus dem Bild blickt?
Der Dresdner Maler Oskar Zwintscher (1870–1916) malte das „Bildnis einer Dame mit Zigarette“ 1904, heute befindet es sich im Albertinum in Dresden. Im Umfeld der ersten umfassenden Retrospektive zu seinem Werk 2022/23 erschien ein kleines Büchlein, das sich ausschließlich mit diesem Bild beschäftigt. Eine „Symphonie in Schwarz“ ist es in der Tat. Der Titel verweist auf die Bilder von James McNeill Whistler, der wie Gustav Klimt ein Vorbild für den jüngeren Zwintscher gewesen sein mag. Ungewöhnlich ist das Schwarz allemal, das sich erst nach und nach als voller stofflicher Strukturen des Wandbehangs und des Kleides erweist und kaum reproduzieren lässt. Aber ungewöhnliche Bildideen waren ein Spleen der Jahrhundertwende und Zwintscher trug da so manches Originelle bei. Obwohl das Buch klein und schmal ist, bietet es doch eine schöne Einführung in sein Leben und Werk. Zeitgenossen und Vorbilder werden abgeklopft, um seine Besonderheiten herauszuarbeiten. Zwintscher war nach seinem frühen Tod trotz seiner Erfolge zu Lebzeiten bald vergessen, denn die „Stilkunst“ um 1900 war lange nicht angesagt. Und als sie in den 1970er Jahren wiederentdeckt wurde, befanden sich die meisten seiner Werke in seinem ehemaligen Lebensumfeld Dresden, das in der DDR lag, wo man diese Kunstrichtung als dekadent ansah.
Man kann den Maler und seine Bild nun also wiederentdecken. Als roter Faden zieht sich die Frage durch das Buch, wer denn die Dargestellte sein könnte? Eine Künstlerkollegin, eine Studentin, eine der selbstbewussten Schriftstellerinnen, die in der Zeit um 1900 die Emanzipation voranbrachten? Ob sie gelöst wird, soll hier nicht verraten werden, nur dass ein auch geistesgeschichtlich spannendes Panorama der Zeit auf diese Weise entsteht. Zwintscher war ein begeisterter Portraitist, der in Konkurrenz zur Fotografie, die in Dresden markante Protagonisten vorzuweisen hatte, zahlreiche spannende Charakterisierungen seiner ZeitgenossInnen geschaffen hat. Und kulturgeschichtlich wird das Buch auch, wenn dem Phänomen des Zigarettenrauchens nachgegangen wird. Dresden war – auch – die Stadt der Genussmittel. Zigaretten- und Schokoladenproduktion prägten die industrielle Entwicklung der barocken Residenzstadt am Beginn des 20. Jahrhunderts.
„Auf der Suche nach der Unbekannten entsteht so ein fesselndes Bild der Verschränkung von Kunst und Leben um 1900“, verspricht der Verlag und hat Recht damit. Es gibt sie, die intelligente Unterhaltung, die bildet.

01.03.2024
Andreas Strobl
Symphonie in Schwarz. Eine Spurensuche zwischen Lebensreform, Frauenbewegung und Bohème. Dehmer, Andreas; Partsch, Susanna. 120 S. 60 fb. Abb. 21 x 13 cm. Deutscher Kunstverlag, Berlin 2023. EUR 24,00.
ISBN 978-3-422-80115-8
 
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