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Emil Orlik

Eine Wiederentdeckung

Heute ist Emil Orlik (1870–1932) nicht mehr so bekannt wie Lovis Corinth, Max Liebermann oder sein Altersgenosse Max Slevogt. Aber in seiner Zeit zählte er zu den herausragenden Zeichnern und Graphikern, war gut vernetztes Mitglied der Wiener und der Berliner Secessionen. Vielleicht liegt seine heute mangelnde Bekanntheit daran, dass er kaum als Maler tätig war, vielleicht auch daran, dass er als gebürtiger Prager zwischen den Kunstszenen des K-und-K-Reichs und Berlins, wo er seit 1905 lebte und lehrte, stand. Hinzukommt, dass sein Nachlass nicht so, wie man es von anderen Künstlern kennt, betreut werden konnte. Sein ihn überlebender älterer Bruder Hugo wurde als Prager Jude hochbetagt 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet. Heute sind Orliks Werke in zahlreichen Museumssammlungen vertreten, aber an ihn erinnert wird eigentlich nur im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg regelmäßig, wo die Sammlung des sudetendeutschen Adalbert-Stifter-Vereins beherbergt ist. So teilt Emil Orlik mit manch anderem Künstler das Schicksal, in regelmäßigen Abständen „wiederentdeckt“ zu werden. Wer ihn aber für sich entdeckt hat, dem bleibt er als begnadeter Zeichner in Erinnerung, der es wie nur wenige verstand, gleichermaßen Gegenden, Stimmungen und Menschen – egal ob berühmt oder anonym – in eindringlicher Lebendigkeit zu schildern.
Als Druckgraphiker arbeitete er in über 1.500 Graphiken ebenso mit der Tiefdrucktechnik der Radierung in all ihren Varianten, wie mit dem Flachdruck der Lithographie und dem Hochdruck des Holzschnittes. Begünstigt wurde dieser druckgraphische Schwerpunkt sicherlich durch die Tatsache, dass diese Künste am Ende des 19. Jahrhunderts einen großen Aufschwung erlebten und bei Künstlern wie Publikum gleichermaßen beliebt waren. Gerne verwendete Orlik dabei Farbe, was in seiner Zeit ganz wesentlich von der Entdeckung der japanischen Holzschnitte angeregt war. Der Künstler reiste sogar nach Japan und erlernte dort die traditionelle Technik, nicht um sie für seinen „Reisebericht“ zu imitieren, sondern um sie kongenial auch auf europäische Themen zu übertragen. Am intensivsten nutzte Orlik die Radierung, selbst wenn sich dies in der Zahl der Werke nicht spiegelt. Es gelang ihm dabei, wie etwa Corinth und Slevogt seine Fähigkeiten im Zeichnen perfekt in den Druck zu übertragen und zugleich die spezifischen Möglichkeiten auszunutzen, die aus der Radierung eben nicht nur eine Reproduktion machen, sondern ganz eigenartige Kunstwerke entstehen lassen.
Es war also überfällig, dass endlich eine fundierte Zusammenstellung dieses vielfältigen Werks erstellt wurde. Das ganz wesentlich von Birgit Ahrens zusammengetragene und von dem passionierten Hamburger Sammler Peter Voss-Andreae in Eigeninitiative herausgegebene Werkverzeichnis lässt keinen Wunsch übrig. Es führt 114 Holzschnitte, 637 Radierungen und 806 Lithographien auf. Neben den üblichen Angaben zu Techniken und Auflagen werden die bekannten Probe- und Zustandsdrucke, sogar die Vorzeichnungen sowie die Standorte in Museen und Privatsammlungen dokumentiert. Ganz „nebenbei“ konnten eine Reihe der Porträts erstmals oder neu historischen Persönlichkeiten zugeordnet werden, was in übersichtlichen biographischen Einträgen bei den jeweiligen Werken dankenswerter Weise erläutert wird. Sensationell sind die Farbabbildungen sämtlicher Werke, die sogar die unterschiedlichen Papierqualitäten vermitteln. Dies macht das Blättern in den gediegen hergestellten Bänden zu einem wahren Genuss. So darf sich dieses Werkverzeichnis bei den herausragenden Vorgängern etwa zur Druckgraphik von Max Beckmann (James Hofmaier) oder Käthe Kollwitz (Alexandra von dem Knesebeck) einreihen. Orlik ist zwar ein ganz anderes künstlerisches Temperament, aber er steht nun endlich zu Recht und angemessen in dieser Riege herausragender Graphiker. Einzelne Werke – insbesondere Porträts – sind bis heute allgemein bekannt, aber nun liegt die ganze Fülle dieses reichen Werks praktisch handhabbar vor uns.

06.01.2024
Andreas Strobl
Emil Orlik. Das druckgraphische Werk. Hrsg.: Voss-Andreae, Peter. 1200 S. 1280 Abb., 665 fb. Abb. Deutscher Kunstverlag, München 2023. EUR 198,00.
ISBN 978-3-422-98841-5
 
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