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Eine kurze Geschichte des Kunstpublikums

Dass das Kunstpublikum heute zu einem aktiven Partner von gegenwärtigen Kunstereignissen gewordenen ist, ist in gewisser Weise zu einem Gemeinplatz geworden. Alle fühlen sich heute von Ausstellungen angesprochen oder eben auch ausgegrenzt - je nach eigener ästhetischer Vorliebe oder politischer Orientierung. Begriffe wie Darsteller, Zuschauer, Kenner, Fan, Nerd und Kunstaktivist verdeutlichen heute, welche unterschiedlichen Betrachterfunktionen und -rollen sich im heutigen "Betriebssystem Kunst" herausgebildet haben. Besonders die Klimaaktivisten demonstrieren mit halblegalen Mitteln wie aktiv sie heute den öffentlichen Kunstraum für die politische Kommunikation in diesem Land nutzen. Erstaunlich ist, dass erst jetzt der renommierte Schweizer Kunsthistoriker Oskar Bätschmann eine kurze Geschichte des Kunstpublikums vorgelegt hat - ein relativ schmales Buch, das es allerdings in sich hat. Mit Hilfe von 16 instruktiven Kapiteln in Form von jeweils eigenen Problemgeschichten rekapituliert Bätschmann, wie das Publikum zwischen aktiver, reflektierter Anteilnahme von einzelnen Gebildeten und eher massenorientierter affektiver Empathie oszillierte. Dass sich dabei sozusagen unter der Hand und immer wieder rückwirkend auch die KünstlerInnen auf die Reaktionen einzelner AktivistInnen des Publikums bezogen, wird in Bätschmanns Buch auf spannende Weise deutlich. Sein Buch, das eine lange unbearbeitete Forschungslücke schließt, liest sich dabei spannend, informativ und (indirekt) gegenwartsorientiert von der ersten bis zur letzten Seite. En passant erfahren die Lesenden dabei auch von einem ganz frischen Forschungsgebiet. Die Frage, wie speziell Trauerfeierlichkeiten für gerade verstorbene KünstlerInnen auf die spätere Popularisierung der entsprechenden KünstlerInnen zurückwirkten zeigt, wie "trauernde Mengen" das Kunstsystem im Kern beeinflussten. Auch etwa die Passion eines Massenpublikums für Phänomene der Scheinlebendigen in Gestalt der "Tableau Vivants" um 1800 zeigt anschaulich, dass neben kunsthistorischer Bildung auch die Lust an Unterhaltung und Augenkitzel war, die die klassischen Funktionen von Kunst nachhaltig erweiterten. Dass der Autor zu Beginn und am Schluss die Gegenwartskunst nur auf wenigen Seiten streift, ist ihm nicht vorzuhalten. Wer genauer zwischen den Zeilen liest, entdeckt in diesem extrem zeitgenössisch wirkenden Buch auch spannende künftige Anschlussmöglich-keiten an die Jetztzeit -. einer Epoche, die wie keines vor ihr den "Anteil des Kunstpublikums" aktiviert und herausgefordert hat. Mein Urteil ist eindeutig - kaufen, lesen, weiterdenken.

03.12.2023
Michael Kröger
Das Kunstpublikum. Eine kurze Geschichte. Bätschmann, Oskar. 200 S. 54 Abb. 21 x 14 cm. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2023. EUR 24,00. CHF 27,50
ISBN 978-3-7757-5527-6
 
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