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Von Bonnard bis Klemke. Illustrierte Mappenwerke und Künstlerbücher

„Illustrierte Bücher“ – das klingt ein wenig nach Märchen und Kindersachen. Das mag es zum Teil ja auch sein und muss Erwachsene deswegen nicht weniger interessieren. Illustrierte Bücher sind aber auch ein ganz spezielle Sammelgebiet in der neueren Kunst. Mal abgesehen davon, dass die Frühformen des Buches in Europa sehr oft illustriert waren, kam mit den Revolutionen der Drucktechniken im Laufe des 19. Jahrhunderts eine wahre Flut von illustrierten Büchern auf, die zwar heute, da die Bilderflut sich ins Digitale ergossen hat, im Medium Buch nicht mehr die Intensität von damals hat, aber immer noch einen kleinen Strom an neuen Ideen erzeugt. Ideen, das ist das richtige Stichwort: Hat man die Gelegenheit, in illustrierten Büchern zu blättern, explodieren kleine Feuerwerke von Bild- und Gestaltungsideen, die sich auf literarische Texte beziehen, aber manchmal für sich stehen können oder von Künstler*innen selbst zu wahren Text-Bild-Gesamtkunstwerken gestaltet wurden.
Nur leider bleiben diese Bücher meist geschlossen, da sie empfindlich sind und viele auch nur in kleinen Auflagen erschienen, so dass man sie nicht einfach in einer Leihbücherei zur Verfügung stellen kann. Sie sind daher auch genauso Sammlungsobjekte der Museen wie der Bibliotheken. Das Grassi-Museum in Leipzig hatte in diesem Bereich bislang keinen besonderen Schwerpunkt, aber das große Glück, den Bestand eines passionierten Sammlers geschenkt zu bekommen, was man als Anlass für eine Ausstellung und einen umfangreichen Katalog genommen hat. Der Berliner Graphik-Designer Wieland Schütz war dem Museum bereits verbunden, weil es das Werk seines Vaters, des KPM-Porzellangestalters, Sigmund Schütz (1906–1998) gesammelt hatte. Da man in Leipzig die Leidenschaft von Wieland Schütz für Künstlerbücher, wie illustrierte Bücher auch genannt werden, zu schätzen wusste, kam das „Grassi Museum für angewandte Kunst“, wie es sich heute nennt, in den Genuss einer Sammlung, wie sie eine öffentliche Institution heute nicht mehr aufbauen könnte. Schütz hatte sein Interesse für von bildenden Künstlern gestaltete Bücher seit den 1980er Jahren intensiviert und konnte viele Klassiker zusammentragen, die heute nur noch selten auf dem Markt auftauchen. Charakteristische Beispiele aus dem 19. Jahrhundert von Eugène Delacroix über Wilhelm Kaulbach bis Heinrich Hoffmann bilden den Auftakt, ehe die Sammlung mit der Jahrhundertwende – Walter Crane, Aubrey Beardsley, Pierre Bonnard und viele andere – so richtig Fahrt aufnimmt. Künstler wie Max Slevogt, Lovis Corinth oder Richard Seewald sind natürlich ebenso vertreten, wie die internationalen Stars – Picasso, Maillol, Léger. Aber auch die außerhalb der Kreise der Graphikfreunde und Bibliophilen weniger bekannten Namen wie Karl-Heinz Hansen-Bahia, Josef Hegenbarth oder Werner Klemke sind ganz selbstverständlich neben Jean Dubuffet und Antoni Tapiès gestellt. Und die Sammlung reicht bis in die jüngste Gegenwart, in der gerade junge Leipziger Künstler*innen eine Rolle spielen. Der strikt chronologische Aufbau des Katalogs nach Jahrzehnten bietet dabei überraschende Gegenüberstellungen.
Die Geschichte des Sammlers wird vom Direktor des Museums, Olaf Thormann, im einleitenden Essay vorgestellt. Karoline Schliemann und Julia Blume widmen sich in weiteren Essays dem Sujet des Künstlerbuchs und der Leipziger Szene. Sensationell ist aber nicht nur die Schenkung, sondern auch die Ausstattung des begleitenden Katalogbuchs durch den Leipziger Verlag Faber & Faber. Eine umfangreiche Auswahl der Bücher ist mit jeweils mehreren Doppelseiten in phantastischer Bildqualität reproduziert, so dass der Leser einen wirklich guten Eindruck von den jeweiligen Besonderheiten in der Gestaltung von Text und Bild bekommen kann. Sogar die haptische Qualität dieser Bücher, bei denen ja vom Einband bis zum ausgewählten Papier alles individuell durchdacht ist, wird dem Leser durch diese Reproduktionen vermittelt. Damit bildet das Buch einen wunderbaren Einstieg in dieses Gebiet der bildenden Kunst, das allein schon wegen der Fragilität seiner Objekte meist in einer Nische steht. Dem Kenner bietet es eine Revue, die mit der Zunge schnalzen lässt.

02.09.2023
Andreas Strobl
Von Bonnard bis Klemke. Illustrierte Mappenwerke und Künstlerbücher aus der Sammlung Wieland Schütz. Hrsg.: Dr. Thormann, Olaf; Hrsg.: Schliemann, Karoline. Deutsch; Englisch. 300 S. zahlr. fb. Abb. 32 x 24 cm. Faber & Faber, Verlag, Leipzig 2023. EUR 40,00.
ISBN 978-3-86730-256-2
 
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