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Egon Schiele – Werkverzeichnis

Dieses Buch – mit seinen stattlichen mehr als fünf Kilo Gewicht und seinem monumentalen Format – ist ein Gedenkstein. War die erste Auflage noch als Monument für den in Österreich bis dato vergessenen und unterschätzten Maler Egon Schiele (1890-1918) konzipiert, so ist die Neuauflage als Denkmal an seinen Verfasser zu sehen. Der – nicht unumstrittene – österreichische Arzt und Sammler Rudolf Leopold (1925-2010) hatte sich zur Lebensaufgabe gemacht, das Werk des heute weltweit anerkannten und gesuchten Malers wiederzuentdecken und Lebensspuren und künstlerische Arbeiten des Frühverstorbenen zusammenzutragen: Aus seiner Sammlung ist längst das Leopold Museum im Wiener Museumsquartier geworden.
Zu den Pioniertaten Leopolds gehörte auch die Vorlage des monumentalen Werkverzeichnisses der Gemälde, das 1972 in erster Auflage erschien und längst vergriffen war. Als Verfasser des Catalogue raisonnés befand sich der Sammler jedoch in tragischer Konkurrenz zu dem 1939 emigrierten Kunsthistoriker und Galeristen Otto Kallir, der – unter seinem Geburtsnamen Nirenstein – schon 1930 eine erste Werkmonographie Schieles mit einem Verzeichnis seiner Gemälde vorgelegt und diese 1966 aus dem amerikanischen Exil heraus beträchtlich erweitert neu aufgelegt hatte. Seither befanden sich Otto Kallir und Rudolf Leopold in einem kreativen Wettstreit um die Deutungshoheit über jenen Künstler, der ihnen zur Passion geworden ist.
Leopolds Werkverzeichnis ist vor allem durch seine akribische Motivforschung legendär geworden, da der Sammler es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Lebensspuren und Lebensorte umfassend zu dokumentieren. Ihm gelang dadurch die Konkretisierung und Kontextualisierung zahlloser Bildmotive, auf der die Schiele-Rezeption bis heute – und nicht nur im Leopold Museum – aufbaut. Der verständliche Wunsch seiner Witwe war es daher, das erstmals 1972 vorgelegte Werk ihres verstorbenen Mannes mit all seinen Forschungsleistungen und ergänzt um aktualisiertes, verbessertes Abbildungsmaterial in Farbe, wieder zugänglich zu machen. Auch die heute umso wichtiger gewordenen Einträge zur Provenienz der Gemälde – viele waren einst im Besitz jüdischer Sammler – wurden nachgetragen und ergänzt. Aber brauchen wir die Neuausgabe wirklich?
An Werkmonografien und Spezialuntersuchungen zum Werk Egon Schieles ist kein Mangel. Im Gegenteil: Der leidenschaftliche Konkurrenzkampf auf dem Buchmarkt und in Hinblick auf einen möglichst vollständigen Überblick über die Werke des Malers setzt sich bis heute fort: Jane Kallir, die Enkelin Otto Kallirs, hatte das von ihrem Großvater begonnene Werkverzeichnis bereits 1990 aktualisiert – und natürlich auch den Kenntnisstand Leopolds dabei berücksichtigt. Für den international agierenden Taschen Verlag hat 2017 der österreichische Kunsthistoriker Tobias G. Natter den monumentalen Band „Egon Schiele. Sämtliche Gemälde 1909-1918“ realisiert, in dem lediglich die Gemälde des Frühwerks nur kursorisch abgehandelt werden. Natters Publikation erschien 2020 zudem in einer für 20 € unschlagbar preisgünstigen und mit anderthalb Kilo gut handhabbaren leicht gekürzten Kompaktausgabe. Vor allem aber ist der konsequent fortgeschriebene und permanent aktualisierte Catalogue raisonné „Egon Schiele. The Complete Works“ des Kallir Research Institute online zugänglich und ermöglicht dadurch die komfortable Suche nach Werktiteln oder ehemaligen Besitzern von Schiele-Gemälden.
Die Neuausgabe des Werkverzeichnisses von Rudolf Leopold war daher kein wirkliches Desiderat. Sie macht eher das Werk Leopolds erneut zugänglich und wird vor allem diejenigen freuen, die sich über den Preis der vergriffenen Erstauflage grämten.

16.02.2021
Rainer Stamm
Rudolf Leopold: Egon Schiele. Werkverzeichnis. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen. 2., überarbeitete Auflage, Hrsg.: Elisabeth Leopold unter Mitwirkung von Stefan Kutzenberger, Sonja Niederacher und Michael Wladika, 736 S. m. 931 z. T. fb. Abb. Hardcover m. SU, Hirmer Verlag, München 2020 EUR 75,00, CHF 91,50
ISBN 978-3-7774-3472-8
 
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