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Beiträge zur Kunst der Moderne

Herzlichst Kandinsky.
Vor hundert Jahren löste die Gründung der Weimarer Republik die Monarchie in Deutschland ab. Auch für die Kunst- und Kulturgeschichte im heutigen Niedersachsen bedeutete das Datum einen Durchbruch in die Moderne. Aus diesem Anlass versammeln die „Niederdeutschen Beiträge zur Kunstgeschichte“ sieben Beiträge zur Kunst der Moderne.

Rainer Stamm stellt zwei seit 1937 verschollene Gemälde Karl Schmidt-Rottluffs vor. Es gibt keine Originale mehr, aber immerhin haben sich Farbdias gefunden, so dass in Feinarbeit einer Suche geklärt werden konnte, dass diese verschollenen Gemälde nicht von Erich Heckel sind, sondern den Krabbenfischer Gröning von Schmidt-Rottluff zeigen.

Den Zeitgeist und das Ringen um einen neuen Stil während der Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs dokumentiert in dem folgenden Beitrag den Zusammenbruch alter Ordnungen, ein Briefwechsel des Münchner Malers Richard Seewald mit Walter Müller-Wulckow, dem Gründungsdirektor des Landesmuseums Oldenburg. Seewald lehnte die ungegenständliche Malerei und den Expressionismus grundsätzlich ab, was in diesem Kapitel eindrücklich lesbar eine Entfremdung der beiden Briefeschreiber zur Folge hatte.
Gemeinsame und leidenschaftliche Vertreter der modernen Kunst waren hingegen Müller-Wulckow und der Lübecker Museumsdirektor Carl Georg Heise. Anna Heinze zeigt Parallelen aber auch Unterschiede im Werdegang der beiden Kollegen.

Im Zentrum des Buches, d.h. auf immerhin 88 Seiten, steht das kommentierte Faksimile des Gästebuchs von Ernst Beyersdorff, dem Begründer der Oldenburger „Vereinigung für junge Kunst“. „Schreibet und Ihr/Ihr habt gegeben“ lautet sein Auftrag und kündet in kühnen Handschriften von illustren Gästen.
Und wie kann es anders sein, auch das Bauhaus stößt in Oldenburg während dieser Jahre auf große Zustimmung. Mit Blick auf das Jubiläum des Bauhauses vor 100 Jahren skizziert der Aufsatz von Gloria Köpnick das große Engagement der von Beyersdorff gegründeten Avantgarde-Vereinigung für den Transfer der Bauhaus-Ideen in die nordwestdeutsche Provinz. Allerdings gestaltet sich dieses Programm keineswegs provinziell. Von 1924 bis 1932 zeigt man in Oldenburg zahlreiche Bauhaus-Künstler. Paul Klee und die „Neue Baukunst“, begleitet mit einem Vortrag von Walter Gropius, allerdings fand die Ausstellung keine Übernahme andernorts. Darüber hinaus fanden Bauhaus-Webstoffe, -Keramik, textile -Spitzen und -Gläser ihren Widerhall, ebenso wie das Thema Bühnenbild. Mit großem Nachhall wurde „die billige Wohnung“ präsentiert und auch in der Ausstellung „Das Gesicht der Graphik“ waren exzellente Bauhäusler vertreten. 1933 war die Freude am Bauhaus vorbei. Die Glas- und Wandbilder von Josef Albers konnten nicht mehr ausgestellt werden.
Heike Wernz-Kaiser stellt das Werk der Oldenburger Malerin und Weberin Margarete Willers vor. Die Werke dieser Bauhaus-Künstlerin blieben bisher weitgehend unbekannt. Die hier erstmals vorgestellten textilen Einzelstücke von ihr sind ein Beispiel, auf welche Weise unter anderen Paul Klee am Bauhaus die Künstlerin inspirierte.

Am Ende des Buches berichtet der Provenienzforscher Hansjörg Pötzsch über die Braunschweiger Gesellschaft der Freunde Junger Kunst. Die Zeiten für mutige Künstler waren so schlecht, dass einige von ihnen von ihren Mäzenen zur Sicherung ihres Daseins mit Obst- und Gemüsekonserven entlohnt wurden. Im Gästebuch des Braunschweiger Sammlers Otto Ralfs finden sich eindrucksvolle farbige Zeichnungen u.a. von Alexej Jawlensky, Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Conrad Felixmüller und Walter Dexel. Nach der NS „Machtergreifung“ wurden etliche Werke als „entartet“ beschlagnahmt, viele gingen verloren. Das Aquarell von August Macke „Kinder mit Hund“ überlebte bei Cornelius Gurlitt und ist heute im Besitz des Kunstmuseums Bern.

Die „Niederdeutschen Beiträge zur Kunstgeschichte“ 2018 sind eine Fundgrube. Die hier vorliegenden Beiträge zur Kunst der Moderne führen in vielen, bislang unbemerkten Facetten eine kurze Epoche voller Hoffnung und Erneuerung vor Augen, die in der ihr folgenden Zeit ein brutales Ende fanden.
Das Titelbild des Buches zeigt einen Eintrag Kandinskys in das Gästebuch von Otto Ralfs mit der Signatur „Herzlichst Kandinsky, Mai 1926“.

21.02.2019
Gabriele Klempert
Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte. Neue Folge, Band 3. Beiträge zur Kunst der Moderne. Hrsg.: Lembke, Katja; Luckhardt, Jochen; Stamm, Rainer. 216 S. 139 fb. Abb. 27 x 20 cm. Gb. Imhof Verlag, Petersberg 2018. EUR 29,95. CHF 34,40.
ISBN 978-3-7319-0758-9   [Michael Imhof]
 
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