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Christine Erhard – Building Images

Seit Anbeginn ihres künstlerischen Schaffens interessiert sich Christine Erhard für Räume, für Architektur. Schon die in den 1990er Jahren entstandenen frühen Arbeiten der 1969 geborenen Düsseldorferin (die seit kurzem als Professorin für Fotografie im Studiengang Kommunikationsdesign an der Kieler Muthesius Kunsthochschule lehrt und selbst bei Fritz Schwegler in Düsseldorf studiert hat) zeigten Architekturräume, Zentren von Macht und Einfluss, Foyers der Finanz- und Bankenwelt, Foyers in Gebäuden, die allesamt teilhaben am unsichtbaren politischen Machtgefüge. Räume, die durchschritten werden, in denen aber nicht gelebt wird: Modelle der Wirklichkeit, kleine gebaute Architektur-Utopien aus dem Kopf der Künstlerin, die mit Hilfe des Computers entstanden sind.
In einem ersten Schritt machte sie Zeichnungen, dann generierte Christine Erhard am Rechner Oberflächen für ihre dreidimensionalen Architekturmodelle – oder fand sie in Kunstkatalogen, Zeitschriften und Architekturbüchern –, die sie in die „realen“ Modelle einarbeitete, aufklebte und anschließend fotografierte. Der Künstlerin war wichtig, dass es sich um dreidimensionale Modelle handelte, deren Status noch im Endprodukt, der Fotografie, deutlich bleiben sollte.
Bis heute sind die Räume von Christine Erhard menschenleer – und laden kaum zum Verweilen ein. Das zeigt ein neues Katalogbuch mit dem Titel „Building Images“. Beim Durchblättern wird deutlich, dass sich das Werk der Künstlerin noch heute im hohen Maße um die Geschichte der Architektur dreht: um das Neue Bauen, Konstruktivismus und Brutalismus.
In den vergangenen Jahren waren es vor allem Archivbesuche, die am Anfang der Idee stehen, neue Bilder zu „bauen“. Hier findet Erhard fotografische Bilder, die zu Vorbildern eigener plastischer Konstruktionen werden, die sie dann wiederum fotografiert. In diesem dialektischen Wechsel der Medien, von Fotografie zum Modell zur Fotografie, liegt die Komplexität dieser Kunst begründet, die in einer Ausstellungssituation dann noch einmal in den Raum zurückgeführt und hier installativ, skulptural, präsentiert wird. Dies kann man in dem Buch anhand von vielen Dokumentationsfotos aus Ausstellungen gut nachvollziehen.
Die Monografie zeigt die bedeutendsten Werke seit den frühen Nullerjahren und auch ganz neue Arbeiten der Künstlerin und führt mit Texten von Christin Müller und Prof. Dr. Georg Imdahl in ein Werk ein, dass zweifellos zu den wichtigsten aktuellen fotokünstlerischen Positionen in Deutschland gerechnet werden darf. Doch mehr noch als Fotografie schafft Erhard in ihrem Werk wirklich medienübergreifende Kunst. „Ich bin nicht nur Fotografin, sondern ebenso Bildhauerin … Ich eigne mir meine Bilder an, indem ich sie von Grund auf neu baue und rekonstruiere“, sagt sie.
Die Sorgfalt und auch die Entschleunigung, mit der Erhard ihre Bilder baut, scheint heute noch mehr aus der Zeit gefallen als in den 1990er Jahren: Damit hinterfragt die Künstlerin auf markante Weise den rasanten Verwertungskreislauf von fotografischen Bildern. Auch als eine Erkundung von Strömungen der Abbildungsgeschichte von Architektur kann man die Arbeiten deuten, die in „Building Images“ vorgestellt werden.
Denn immer wieder greift Erhard auf historische Bilder aus der Zeit des Bauhaus, des Neuen Sehens und der Neuen Sachlichkeit zurück, aber auch auf Bilder brutalistischer Architektur – und verdeutlicht uns so, dass unser Blick auf die Architektur der Moderne vorwiegend durch Fotografien geprägt ist.
Die komplexe, äußerst aufwändige künstlerische Weiterverarbeitung dieser Bilder durch Bemalung, Ausleuchtung und Projektion, die Transformation hin zu neuen, irritierenden, auch formalästhetisch einzigartigen labyrinthischen Bildräumen aus Raumfluchten, Verkürzungen, Auskragungen und immer wieder wechselnden Ebenen, all das das macht dieses Werk bis heute so faszinierend – das nun erstmals umfassend monografisch vorgestellt wird.

15.06.2023
Marc Peschke
Building Images. Erhard, Christine. Englisch; Deutsch. 208 S. 100 fb. fb- und 10 s/w-Abb. 31 x 23 cm. Distanz Verlag, Berlin 2022. EUR 38,00.
ISBN 978-3-95476-482-2
 
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