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Lissabon - Das helle, traurige Paradies

Der Text
ein kurz-lehrreicher Streifzug in der – wie anders?- blumigen Sprache des spanischen Schriftstellers Rafael Chirbes durch die Lissabon-geprägte portugiesische Literatur, verbunden mit Reflexionen über „Das Lissabon, das ich kannte“ der Nelkenrevolution nach 1974 und das eigene Älterwerden; Erinnerung als Konstituens der auch eigenen Veränderung, Vergänglichkeit Ein elegischer, leicht melancholischer, nicht nostalgischer Abgesang auf eine so nun verschwundene Stadt, ihre Häuser, Gerüche, Geräusche.
Zeitlich und atmosphärisch Orhan Pamuks (zu weitschweifigem) „Istanbul.Erinnerungen an eine Stadt“ (2006) ähnlich, sicher auch wegen des - ein Zufall?- beiden Endpunkten Europas gemeinsamen Lebensgefühls der Wehmut, Melancholie: ‚hüzün‘ in der Türkei, ‚saudada‘ in Portugal und hier musikalische Essenz und häufig auch Thema des Fado. Wo anders als in Lissabon kann es, im Stadtzentrum, eine „Rua da Saudada“ geben ?

Die Fotografien
Zwischen 2006 und 2010 im Duoton des differenzierenden Grau aufgenommen Gegenbilder zu dem sich nach 1990 austauschbar am Tejo-Ufer EU-subventioniert modern bauenden Lissabon. Keine (farbigen) Ab-Bilder sanierter Altbauten. Das noch fast unverändert gebliebene Lissabon spricht im Bild: Straßenzüge, Straßenecken, verblichene Werbung, der Eingang kleiner Geschäfte, ein verlassener Hafenspeicher, ein alter mühsam hügelan gehender Mann, das noch vom Gestern geprägte Lissabon im Alltag der kleinen Leute, Momentaufnahmen der leisen Melancholie ähnlich der von kaum belebten Straßen eines Sonntagmorgens oder Sonntagabends: das Dazwischen, die Bewegung, bleibt ausgespart. Fotografien des Stillstandes und so auch der Erwartung.
Die Menschen: ins Bild gestellte Staffage? Der gut gekleidete alte Herr mit Stock vor dem Eingang des kleinen geschlossenen Beerdigungsinstituts. Scheinbare Idylle, Signaturen im Gesicht der Stadt, Fotografien zum Stehenbleiben, Straßenfotografie ohne Bewegung: das Volksfest des Hl. Antonius, die Hochzeitsgesellschaften auf den Stufen von Le Se, der Kathedrale. Nicht nur hier sind die Gesichter meist verschlossen (aber freundlich-fröhliche Gesichter sieht man in Lissabon selten), Bewegung, nie schnell oder heftig und dann oft verdeckt in den Grautönen von Halbschatten. Momentaufnahmen des Zeitlosen einer Stadt in seiner Lissabonner Spezifik, konkreter im Verlagstext: „Ein Buch für Flaneure“. Flaneur, war das nicht für Walter Benjamin, der intellektuell dandyhafte Spaziergänger im Berlin und Paris der Zwanziger Jahre?


Verbindendes
Mit Chirbes` Lissaboner Text-Impressionen korrespondieren ausschnitthaft-begleitende schwarz-weiße Fotografien, verbinden die retrospektive Sicht des Autors so mit der des Fotografen und umgekehrt, sind Bestätigung und zugleich Kontrast seiner Erinnerungen an „Das Lissabon, das ich kannte“ Ungewohnt konsequent: viele Aufnahmen kennen keine Legenden, auch so und damit das Zeitlose von Text-Impressionen und Fotografien betonend.

Fazit
Eine verlegerische Wegmarke im Angebot anspruchsvoller Fotobücher.

28.03.2011
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Groothuis, Rainer; Lohfert, C. Lissabon. Das Helle, Traurige Paradies. 144 S. 50. 22 x 30 cm. Gb. Edel Verlag, Hamburg 2010. EUR 36,00. CHF 56,90
ISBN 978-3-941378-79-7
 
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