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Cy Twombly - Photographs 1951-2007

Aus der Dunkelheit tritt uns eine römische Skulptur entgegen: da sie in extremem Schräglicht photographiert wurde, schälen sich auf den Fotos nur Fragmente heraus – auf dem einen die linke Gesichtshälfte, auf einem anderen (dem letzten der aus fünf Aufnahmen bestehenden Umrundung der Büste) nur noch der Haarschopf: eine schrundige Absplitterung, die an eine Aufnahme des Mondes denken lässt. „Pfingstrosen (Peonies)“ zeigt die Blumen in angewelktem Zustand, altmeisterlich in einer Schale auf einem Tisch angeordnet, in hoher Unschärfe – und doch leuchten bei aller Vanitas-Stimmung die transparenten Blumen auf, wie aus sich selbst heraus. Sind leicht vergilbte Photos der Jahrhundertwende um 1900 anzuzeigen?

Die Ausstellung „Cy Twombly Photographs”, die im Herbst-Winter 1993 (15. Oktober – 4. Dezember) in der Matthew Marks Gallery an der New Yorker Madison Avenue stattfand, hat Kunstgeschichte geschrieben: Dort war es vor mehr als einer halben Generation das erste Mal, dass Cy Twombly, der als Maler seit den 1950er Jahren zu den Hauptvertretern der amerikanischen Nachkriegskünstlergeneration gehört, nicht mit Gemälden, sondern mit Photographien auf sich aufmerksam machte. Zur Kenntnis genommen wurde diese Pioniertat damals nur von einigen wenigen Insidern. Erst 2009 haben beinahe synchron zwei Ausstellungen den Photokünstler Cy Twombly einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt: Eine kleinere Ausstellung im überaus verdienstvollen Lindenau-Museum in Altenburg widmete sich anlässlich der Verleihung des Gerhard-Altenbourg-Preises 2008 an den 1928 in Lexington/Virginia geborenen Künstler den „Photographien, Druckgraphiken [und] Zeichnungen“ (24. Mai – 30. August 2009). Und eine groß angelegte, fulminante Gesamtübersicht im Wiener MUMOK (Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig) präsentierte unter dem Titel „States of Mind“ mit Ausnahme der Druckgraphik endlich alle künstlerischen Arbeitsfelder Twomblys gleichrangig nebeneinander: die „Malerei, Skulptur, Fotografie [und die] Zeichnung“ (4. Juni – 26. Oktober 2009).

Die späte „Entdeckung“ des Photographen Twombly erinnert in eigentümlicher Weise an die verzögerte Anerkennung einer anderen Kunstgattung in seinem Gesamtœuvre: Die Skulpturen, die der Künstler seit 1946 schuf, waren erstmals 1979, ebenfalls in einer Galerie (der Galleria Lucio Amelio in Neapel), ausgestellt worden und wurden der breiteren Öffentlichkeit in Europa erst 1981 (Museum Haus Lange, Krefeld) beziehungsweise 1987 (Kunsthaus Zürich) und schließlich in einer großangelegten Retrospektive des plastischen Werkes im Jahre 2000 im Kunstmuseum Basel zugänglich gemacht.

Was bei der verschleppten Rezeption der Photographien von Twombly nicht überrascht, ist die Tatsache, dass es neben dem Hardcover-Katalog der Matthew Marks Gallery in New York zur Zeit gleich zwei Bücher ausschließlich zu den Photographien von Twombly auf dem Markt gibt – und dies bei demselben Verlag: neben „Cy Twombly Photographs 1951-1999“ von 2002 den anzuzeigenden (mehr als doppelt so dicken) Band von 2008 „Cy Twombly Photographs 1951-2007“, beide bei Schirmer/Mosel erschienen. Beim neuen Buch (Anlass war der 80. Geburtstag des Künstlers) handelt es sich bezeichnenderweise nicht um eine aktualisierte Neuausgabe – das zeigt sich bereits am jeweils anderen Essayautor: Vincent Katz beziehungsweise – im aktuellen Band mit einem umfassenderen Text – Laszlo Glozer.

Die Photographien aller drei Bände eint, dass sie mit einer Polaroid-Kamera geschossen wurden und zu (jeweils unterschiedlich langen) Serien gruppiert sind. Sowohl der Entstehungszeitraum und die Drucktechnik als auch die Themen variieren jedoch je nach Band. Zeigte der Katalog der Matthew Marks Gallery 29 zwischen 1984 bis 1986 entstandene Photos von römischen Skulpturen, Baumkronen aus dem Park der Villa Quattro Venti in Capri und Tulpen, die im Atelier Fresson in Savigny-sur-Orge auf speziell hergestelltem 100%igem-Baumwoll-Papier gedruckt wurden, hat sich in den beiden „Cy Twombly Photographs“-Bänden der Themenkreis von Twomblys Fotoarbeit stark ausgeweitet und umfasst nun Landschaftsdarstellungen, Detailaufnahmen von Früchten, Impressionen aus seiner Villa in Bassano in Teverina sowie Details eigener Gemälde und Skulpturen. Aufnahme fanden schließlich auch die in ihrer Lapidarität höchst eindrücklichen Schwarz-Weiss-Folgen aus Twomblys Ateliergemeinschaft mit Robert Rauschenberg in den frühen 50er Jahren. Die 70 respektive 181 Photoarbeiten (die ihrerseits im New Yorker Katalog alle nicht vorkommen), wurden in einem speziellen Farb-Dryprint-Verfahren auf Karton gedruckt. Den Druck hat Schirmer/Mosel selbst ausgeführt, da es diese Drucktechnik in den USA nicht mehr gibt; weitere Prints sind im Showroom des Verlags in München zu sehen. Die Dryprint-Technik ist ein Kopier-Verfahren, welches erstmals 1954 in den USA für Banknoten verwendet wurde, um – mit weniger Wasserzugabe als bei der Wetprint-Methode (nur 5-10 statt 15-35%) – eine dem Druck möglichst nahe kommende Qualität zu erreichen: Das Resultat ist ein weißeres Papier, ein glänzender Schimmer auf der Oberfläche, eine klarere, samtigere Farbwiedergabe und insgesamt ein schärferes, weniger verschwommenes, dafür aber körnigeres Gesamtbild, das eher aussieht wie ein alter Stich als wie ein altes Gemälde.

Diesen altertümlichen Anstrich des Dryprints nutzt Twombly in seinen Photographien bewusst. Zusammen mit dem Effekt der Unschärfe wirken seine Werke, so Vincent Katz, wie Photographien des Pictorialismus, einer Stilrichtung der Photographie nach 1900, die durch künstlerische Sujets und Effekte (wie Verschwommenheit, fließende Übergänge und pastoral-impressionistischen Motive) die Lichtkunst der Malerei – ironischerweise durch malerische Mittel – im Rang gleichzustellen suchte. Dazu tritt bei Twombly der radikal nahe Ausschnitt, der den photographierten Gegenstand oftmals auflöst – bis zum reinen Farbenmeer (Flowers III) oder sogar bis fast zur Nichtmehr-Erkennbarkeit (Sculpture Detail). Twombly ist – auch in seinen Photographien – auf der Suche nach dem Umschlagspunkt, an dem ein erkennbares Motiv sich durch Unschärfe, Nähe, Monumentalisierung (die Lemons-Serie), Geometrisierung (Miramare-Serie) oder Abstrahierung (Window Screen-Serie) in eine neue Wertigkeit verwandelt, in den Wesenskern des Gegenstands: in die (um bei den genannten Beispielen zu bleiben) reine rote Leuchtkraft der Blume, die Oberflächenhaptizität der Skulptur, die schrundige Würde der Zitrone, in kosmische Harmonie von Wolkenhimmel und Meereswogen des Strandes bei Gaeta oder Licht-Schatten-Quadrate eines Fenstermotivs. Immer scheinen die Photographien dabei zugleich wie von jeder Bedeutung befreit – und doch zugleich bekannte Motive aus der klassischen Malerei und älteren Fotogeschichte ins Gedächtnis zu rufen: Laszlo Glozer nennt die wichtigsten Assoziationen in seinem Essay (Vermeer, Poussin, aber auch Constantin Brancusi, Francis Bacon, Franz Kline). Es stellt sich beim Betrachter auf diese Weise ein eigentümlicher Erinnerungsraum ein, den die Photographien jedoch in ihrem völlig einzigartigen Blick auf die Welt der Dinge immer schon sistieren. Ahnungen und Erinnerungen aus dem eigenen Bildergedächtnis (etwa auch aus vergilbten Familien-Fotoalben) tauchen auf und werden durch die Schnappschusstechnik der Polaroid-Abzüge und die Unschärfe der Aufnahme verstärkt – gleichzeitig erscheinen Cy Twomblys Photographien aber auch wie Lichtzeichnungen (wörtlich: „Photographien“), die gleichsam (und darin liegt der geheimnisvolle Zauber dieser Bilder) noch vor jedem Blick vor unser Auge treten. Das spiegelt zuletzt auch die wohlüberlegte – vom Künstler selbst gestaltete – Anordnung des Bandes, der mit an Giorgio Morandi erinnernden Stillleben- und Atelier-Photos von 1951/54 beginnt und mit drei Selbstbildnissen endet: zwei davon zeigen Twombly mit seiner Polaroid-Kamera in einem Spiegel. Die Gestalt des Künstlers zeigt sich im Bild und wird zugleich – da durch den extremen Nahausschnitt nur die Hände und der Körperumriss zu erkennen sind – im gleißend hellen Licht ausgelöscht.
26.11.2009


Thierry Greub
Twombly, Cy: Photographs 1951-2007. Mit einem Essay von Laszlo Glozer. 2. Aufl. 264 S., 182 fb. Taf., 27 Abb. 32 x 24 cm. Gb Schirmer/Mosel , MĂĽnchen 2009. EUR 78,00
ISBN 3-8296-0368-1
 
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