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Parthenope - Neapel und der Süden der Renaissance

Andreas Beyer hat, als ausgewiesener Experte der Kunst- und Architekturgeschichte der italienischen Renaissance, im Deutschen Kunstverlag seine Habilitationsschrift über eine von der deutschen Kunstwissenschaft eher weniger beachtete Region und Spielart der Renaissance mit "Parthenope. Neapel und der Süden der Renaissance" herausgegeben. Im ausführlichen Literaturverzeichnis finden sich daher vor allem italienische, aber auch englischsprachige Autoren neben wenigen deutschsprachigen Wissenschaftlern mit Schriften auffällig älteren Datums, so etwa die Betrachtungen zum antiken Neapel (K.J. Beloch, 1890) oder zur "Culturentwicklung" und der Renaissance Süd-Italiens (E. Gothein, 1886 und 1924). Einzelaspekten der süditalienischen Kunstgeschichte wie dem Triumphtor zu Capua (C. A. Willemsen, 1953), den Hohenstaufenburgen (H. Hahn, 1961), Neapels Altstadt (W. Doepp, 1968) oder den Grabmälern des Königshauses Anjou (T. Michalsky, 1994) fügt nun Beyer mit seinem Band einen weiteren hinzu. Er möchte die nach den Erbfolgekriegen verwüstete, unter den Aragonesen in der Zeit zwischen 1442 und 1496 aufblühende Stadt als ebenbürdiges Zentrum der Renaissance neben Florenz, Ferrara, Urbino und Mantua einsetzen.
Da archivalische Quellen selten und weil aragonesische Kanzleiunterlagen schon bei den Aufständen von 1647 und 1701 verloren und ein großer Teil der verbliebenen neapolitanischen Dokumente während des zweiten Weltkrieges in Flammen aufgingen, spielt in seiner Argumentation der Berufung des Hauses Aragon auf die mythische Entstehung der Stadt ein Dankesschreiben von König Alfonso I. an Lodovico Trevisan, dem Kardinal von Aquileia, eine besondere Rolle. Darin beschreibt 1446 Alfonso I., der Eroberer des Königreiches Neapel, dass er die ihm von Trevisan geschenkte antike Statue ? vermutlich eine ruhende Ariadne - zur Sirene/Nymphe Parthenope umdeutet. Sie solle eine Inschrift erhalten, die sie auswiese als die unter Alfonso I. nach Jahren des Krieges nun in Frieden ruhende Parthenope. Der Kult um Parthenope setzt schon im 5. vorchristlichen Jahrhundert ein, als sich die homerische Sirene in eine Fruchtbarkeit bringende Nymphe wandelt. Während sie in römischer Zeit noch von Ovid und Vergil besungen wurde, verliert sich das Wissen um ihre Herkunft in nachantiker Zeit. Noch heute läßt sich die griechische Stadtgründung an der campanischen Küste - abgesehen von wenigen archäologischen Zeugnissen - am Grundriß der Stadt ablesen, einem System aus West-Ost-Straßen und Nord-Süd-Gassen, dem Nea-Polis-Plan von 474 v. Chr. nach den Lehren des Hippodamos von Milet. Auch Neapels Verwaltungsform durch mehrere Seggi ? Sitze - war eine dezentrale, auf die griechische Polis zurückgehende Verwaltung, die zwar zu einer Standesvertretung vor allem der städtischen Aristokratie mutierte, aber erst nach der Revolution von 1799 aufgelöst wurde. Als Mittel der politischen Legitimation beförderten erst wieder die Aragonesen den Kult um Parthenope und sein Griechentum. Dabei spielen zwei Fragmente, die sich in der Altstadt Neapels befanden, eine gewisse Rolle. Besonders die nie vergessene und 1479 - also unter den Aragonesen - ausgegrabene, bis ins 17. Jahrhundert kopflose Nilstatue "corpo di Napoli" genannt, war Wahrzeichen des antiken Viertels Sergio Nilo oder Nido und damit des antiken Stadtkerns. Sein Pendant ist ein weiblicher Kolossalkopf 'il capo di Napoli', der als angeblicher Rest einer Statue der Parthenopegeradezu abergläubische Verehrung erfuhr. Beide Fragmente vereinten sich zueiner 'kulthaft' eingesetzten Personifikation der antiken und unter denAragonesen wiedererstandenen Nea Polis Parthenope.Um das neapolitanische Volk für sich einzunehmen, standen auch die Bau- undBildhaueraufträge der Aragonesen im Bezug zum mythischen Beginn der Geschichte der Stadt. Beyers Schrift stellt ausführlich und plausibel den "Arco" des Castel Nouvo und den Palazzo Carafa, weniger tiefschürfend dagegen die Villen von Poggio Reale und La Duchesca als das architektonische Programm der städtischen Erneuerung Neapels durch das Haus Aragon vor. Der Herrscher und Fremde Alfonso I. mußte - wie andere Eroberer Neapels vor ihm auch - außerhalb der antiken Grenzen der Stadt bleiben und erneuerte das im 13. Jahrhundert von den Anjou errichtete, aber in den Erbfolgekriegen völlig verwüstete Castel Nuovo als Art viertürmige Ritterburg in Anspielungan Burgen Spaniens und Südfrankreichs. Zwischen den Tortürmen ließ er als frühesten und programmatischsten seiner Bauaufträge einen marmornen Torbogen errichteten, der einem doppelten Triumphbogen gleich antike Vorbilder und die Herrschergräber Neapels verarbeitete. Darauf wird AlfonsoI. als Friedensbringer ausgewiesen, der vor das imaginäre Grabmal der Parthenope zieht.
Unter Ferdinand I. verdichteten sich in urbaner Dimension innerhalb der neapolitanischen Altstadt, dem Sergio Nilo, im architektonisch fortschrittlichen Stadtpalast des Diomede Carafa, wie Beyer sagt "machtpolitische Ambition, kulturelle Herleitungsstrategie und künstlerisches Vokabular zu einem dauerhaften Zeugnis humanistischer Ikonografie". Carafa war nicht nur enger Vertrauter von Ferdinand I., sondern auch Kanzler und Humanist. Auch hatte er sehr gute Beziehungen zum Florentiner Bankier Filippo Strozzi. Dieser besorgte ihm Kunstwerke und eine reiche Antikensammlung, die in dem 1466 fertiggestellten Palazzo mit einem ausgefeilten Bezugssystem wiederum auf Parthenope verwies. Zusammenmit einem giardino pensile ? dem Prototyp der römischen Antikengärten des16. Jahrhunderts ? belegt dieses Ensemble nicht nur die unterschätzte, aber besondere Eigenart und Qualität neapolitanischer Baukunst, sondern auch die Sinnbildlichkeit des Palazzo Carafa di Maddaloni als Heimstatt der Parthenope.
Mit der Villa von Poggio Reale wurde 1487 von Giuliano da Maiano nicht nurmit dem Bau des ersten Nymphaeum der Neuzeit beauftragt, sondern dieses Lustschloß steht mit dem Bild vom Bad der Parthenope wiederum in philhellenistischer Tradition. Dem gesellt Beyer die schon im 16. Jahrhundert zerstörte, anläßlich der Eheschließung des Alfonso II. mit Ippolita Sforza erbaute Villa La Duchesa mit ihrem Parthenope-Brunnen bei. Fortan treibt der Rekurs auf den Gründungsmythos der Stadt durch die Jahrhunderte die verschiedensten Blüten. 1799 etwa rief man eine kurzlebige "Parthenopaeische Republik" aus, die sich auf die demokratische griechischeTradition berief. Ein wissenschaftliches Buch, das durchaus auch Antworten gibt auf die Frage nach dem besonderen Wesen der Neapolitaner heute.
Annegret Winter
Beyer, Andreas: Parthenope. Neapel und der Süden der Renaissance. 2000. 240 S., 108 schw.-w. Abb.. (Kunstwiss. Stud. 84) Kt DEM 98,-
ISBN 3-422-06291-2
 
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