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Revolutionäre der Typographie

Die 1920er Jahre waren nicht nur die heroische Zeit der Avantgarden und „Ismen“ in der Bildenden Kunst, sondern auch die historische Blütezeit einer bahnbrechenden neuen Typografie. Pioniere einer neuen Schriftgestaltung, allen voran László Moholy-Nagy, Jan Tschichold, Walter Dexel, Max Burchartz, Herbert Bayer und Paul Renner, entwickelten moderne, serifenlose Schrifttypen, experimentierten mit Lettern und Zwischenräumen, Schriftgrößen und Auszeichnungen. Die frühen, programmatischen Beispiele ihrer Pionierleistungen zählen heute zu den gesuchtesten Ephemera des antiquarischen Buchmarktes und der spezialisierten Händler für historische Papierantiquitäten. Dada, Surrealismus und die Merzkunst eines Kurt Schwitters taten ein Übriges, um die Lettern aus ihren Stegen und Zeilen zu befreien und in Bewegung zu setzen, und nicht zuletzt proklamierte das Bauhaus die konsequente Kleinschreibung.
Als Lehrer, zunächst an der Münchner Meisterschule für Typografie und nach 1933 an der Gewerbeschule in Basel, gehörte der in Leipzig geborene Jan Tschichold zu den wichtigsten Typografen und Vermittlern der neuen Typografie im deutschen Sprachraum. Durch die Herausgabe des wegweisenden Sonderhefts „elementare typografie“ der „Typografischen Mitteilungen“ sowie als Autor des einflussreichen Standardwerks „Die neue Typographie. Ein Handbuch für zeitgemäß Schaffende“ 1928 wurde er zum einflussreichsten Vertreter der revolutionären Typografie der Zwischenkriegszeit in Westeuropa.
Für Laien und Sammler sind die Werke der modernen Werbegrafik nahezu unüberschaubar. Umso mehr überrascht nun, dass uns knapp fünfzig Jahre nach dem Tod Tschicholds – quasi als Zeitkapsel – ein Überblickswerk aus seinem Netzwerk erreicht: Nur wenigen Spezialisten war offenbar bekannt, dass der Präzeptor der neuen Typografie selbst eine Mustersammlung herausragender Beispiele angelegt hatte und diese im Wesentlichen bis heute erhalten geblieben ist. Der Typografie-Kenner (und -sammler) Patrick Rössler und die Leiterin der Bibliothek der Basler Schule für Gestaltung haben diesen Schatz gehoben: Denn hier, an seiner Basler Wirkungsstätte hatte Tschichold eine Vorbilder-Sammlung aus rund 1.500 Beispielen moderner Typografie angelegt, die in der Neuerscheinung erstmals vollständig vorgestellt wird. Sowohl in einem thumbnail-großen Gesamtüberblick aller von Tschichold archivierten Meisterwerke als auch in der Präsentation herausragender Beispiele in monografischen Kapiteln, die den wichtigsten Typografen gewidmet sind, wird ausführlich vorgestellt, was zu den Inkunabeln der Moderne gehört. Der handliche Band ist somit eine Enzyklopädie zur Typografie der Moderne, vorgedacht von einem ihrer besten Kenner von einst und präsentiert von einem der besten Kenner von heute: Trotz (oder wegen) der mehr als 1.500 farbigen Abbildungen ist ein handlicher Band entstanden, der künftig zum unverzichtbaren Standard für Typografen, Sammler und alle von der Vielfalt der Moderne Begeisterte gehören wird.

17.11.2022
Rainer Stamm
Revolutionäre der Typographie. Gesammelte Werbegrafik der 1920er und 1930er Jahre aus dem Netzwerk des Buch- und Schriftgestalters. Jan Tschichold. Rössler, Patrick; Brodbeck, Mirjam. 400 S. 1500 fb. Abb. 25 x 20 cm, Br. Wallstein Verlag, Göttingen 2022. EUR 29,00
ISBN 978-3-8353-5323-7
 
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