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Mart Stam – Die frühen Jahre

Im Nachhinein klingt sein Leben wie ein bewegender Abenteuerroman des XX. Jahrhunderts oder ein Drehbuch zu einem Dokumentarfilm moderner Gestalter. Nach einem schönen Bonmot des Architekturtheoretikers Reyner Banham gilt Mart Stam (1899-1986) als „Mystery Man der Moderne“.
Als früher Mit-Erfinder des berühmten Freischwingers, als hochbegabter Architekt eines superfunktionalen Reihenhaustypus für die legendären Stuttgarter Bauhausausstellung als Architekt der "Brigade May"in den frühen 30er Jahren in der Sowjetunion, schließlich Ende der 40 /Anfang der50 er Jahre als Professor und Rektor an der Akademie der Künste in Dresden und der Hochschule für angewandte Kunst in Berlin-Weissensee und am Ende ein zwanzigjähriges Leben als isolierter Einsiedler in der Schweiz - so einzigartig und inspirierend Stams langes Leben war, so unbekannt und geheimnisvoll war Stams Leben und Werk lange Zeit geblieben. Nach einer kleinen aber feinen Ausstellung 2018 im Marta Herford (Radikaler Modernist. Das Mysterium Mart Stam) widmete sich nun die Berliner Stiftung Industrie- und Alltagskultur einem so gut wie unerforschten kurzen aber intensiven Lebensabschnitt des Allrounders Mart Stam.

1948 wird Mart Stam in Dresden als Rektor der Staatlichen Hochschule für Werkkunst ernannt; er strebte dort eine ambitionierte Fakultät für Industrielle Gestaltung an, konnte sich aber nicht durchsetzen und wurde dann als unbequemer Nonkonformist an die Hochschule für angewandte Kunst nach Berlin Weißensee versetzt. Mit den Kulturfunktionären der damaligen SED teilte der Kommunist Stam zwar die Überzeugung, dass die sozialistische Kultur nach planbaren Ansprüchen und Visionen kontrolliert funktionieren sollte aber auch hier stieß der eigenwillige Gestalter bald auf ideologische Scheuklappen der politischen Nomenklatura. Schon 1951 wurde Stam von Kollegen diskreditiert und musste am 1. Januar 1953 die DDR verlassen. Mit dem äußerst materialreichen Katalog zur gleichnamigen Ausstellung wird nun eine langjährige Forschungslücke sowohl zur Biographie Mart Stams in der DDR als auch allgemein zu einem bedeutenden Kapitel der frühen DDR-Kulturgeschichte geschlossen. Unterteilt in Essays, Entwürfe, Bild- und Textdokumente und Erinnerungsberichte damaliger StudentInnen vermittelt der sehr schön gestaltete und durchwegs klug geschriebene Band ein Stück lebendiger DDR-Designgeschichte, ihre damaligen politischen Visionen, unerbittlichen Kämpfen und ästhetischen Produkten. Erst heute, Generationen später, wird der "verloren gegangene Utopist"(Ann Kristin Kreisel) als bewegender Anreger seiner Zeit erkennbar.

19.05.2021
Michael Kröger
Die frühen Jahre. Mart Stam, das Institut und die Sammlung Industrielle Gestaltung. Hrsg.: Hentschel, Cornelia; Scheiffele, Walter; Semrau, Jens; Stiftung Industrie und Alltagskultur; Beitr.: Köster, Hein; Flagmeier, Renate; Flierl, Thomas; Möller, Werner; Semrau, Jens; Scheiffele, Walter; Ebert, Hildtrud; Hentschel, Cornelia; Kreisel, Ann Kristin. Deutsch. 220 S. meist fb. Abb. 29 x 22 cm. Lukas Verlag, Berlin 2020. EUR 36,00.
ISBN 978-3-86732-377-2   [Lukas]
 
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