KunstbuchAnzeiger - Kunst, Architektur, Fotografie, Design Anzeige Verlag Langewiesche Königstein | Blaue Bücher
[Home] [Architektur] [Rezensionen] [Druckansicht]
Themen
Recherche
Service

[zurück]

Cairo Desert Cities

Dieses Buch, hervorgegangen aus einem Forschungsprojekt an der ETH Zürich, ist ein Ärgernis: Unnötig aufgeblasen mit hunderten von banalen Fotos und nichtssagenden Diagrammen lenkt es vom Wesentlichen ab, das auf 20 Seiten hätte zusammengefasst werden können. Dieses Buch ist auch deshalb ein Ärgernis, weil das Thema wichtig und relevant ist – auch für Europa.
Am ägyptischen Wüstentraum, der das Prinzip von Architektur als Daseinsfürsorge, den Umgang mit Ressourcen wie Material, Boden, Raum, die Logik von Arbeit im neoliberalen Sinne wendet und alle Vernunft zugunsten eines profitablen Irrsinns regierungsnaher Netzwerke auf den Kopf stellt – an diesem feuchten Traum der Kapitalanleger verdienen europäische und amerikanische Investoren mit. Architektur ist hier keine Kunstform, auch keine Form, in der sich soziale und politische Konzepte modellhaft niederschlagen, sondern die nackte Geldanlage. Wie das funktioniert wird angedeutet. Es sind im Prinzip die Mechanismen der globalen Finanzwirtschaft. Und diese wirken bekanntermaßen dort, wo diktatorische Satrapen walten, im Sinne der Akteure wesentlich effizienter, als in Europa. Es ist von der Idee her auch richtig, dass das vorliegende Buch ein Komplementärprojekt hat, das sich den informellen Kairiner Siedlungen widmete. Beide „architektonischen“ Erscheinungsformen gehören zusammen. Sie sind – jedes auf seine Weise – Ausdruck der vom globalen Finanzkapital geschaffenen Macht- und Lebensverhältnisse und müssen zusammengedacht werden.
Doch statt hier anzusetzen arbeitet sich „Cairo. Desert Cities“ lieber an Architektenmythen ab, statt sie zu verschrotten: der Rolle des modernen Planers, der sich einst als sozialpolitisches Faktotum gerierte. Natürlich sind die Wüstenstädte, die als Umschlagplätze von öffentlichen Geldern in Privatkapital errichtet wurden und nach Zweckvollendung vor sich hingammeln, „geplant“ worden, auch mit Hilfe von Architekten. Aber man muß doch fragen, worin hier die Rolle des Architekten eigentlich besteht. Das kleine „Fulcrum“-Bändchen „Real Estates“ (London 2014), das die „Architektur der Finanzkrise“ betrachtet, war da schon weiter. Im Sinne Philip Johnsons zieht man dort sinngemäß das Fazit: Architekten sind Prostituierte – und fordert die Emanzipation. Von solch kritischen Gedankensprüngen ist „Cairo. Desert Cities“ weit entfernt. Eher scheinen die hochausgebildeten ETH-„Reseacher“ vom eigentlichen Gegenstand abgelenkt. Ob das Absicht ist oder Betriebsblindheit kann man nur mutmaßen. Jedenfalls scheint man nicht sehen zu wollen oder zu können, welche Ebene hinter den Oberflächen der Planung – doch für genau die Ergebnisse sorgt, die sie hier genüsslich ausbreiten. Vergesst Eure banalen Fotos und nichtssagenden Diagramme. Stampft Eure aufgeblähten Bücher ein. Dreht Euch doch einfach mal um!

25.03.2019
Christian Welzbacher
Cairo Desert Cities. Angéli, Marc; Malterre-Barthes, Charlotte. Engl. 395 S., zahlreiche fb. Abb. und Zeichnungen. 24 x 18 cm. Gb. Ruby Press Verlag, Berlin 2019. EUR 38,00.
ISBN 978-3-944074-23-8
 
© 2003 Verlag Langewiesche [Impressum] [Nutzungsbedingungen]