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Hermann Henselmann und die Moderne – Eine Studie zur Modernerezeption in der Architektur der DDR

Aller guten Dinge sind 3? Wir werden sehen. Schließlich ist dies schon meine dritte Rezension für den immer wieder lesenswerten „Kunstbuchanzeiger“ – und interessanterweise beschäftigen sich alle drei mit der Architektur in der DDR. Dabei bin ich gar kein „Mann vom Bau“. Ich habe nur drin gewohnt und dadurch vom so genannten „Zuckerbäckerstil“ à la Moskau über den Neubau Q3A bis zur „Platte“ namens WBS 70 fast alle gängigen Wohnungsbaustile zwischen den fünfziger und den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts kennen gelernt. Ein paar Jahre habe ich sogar direkt am Strausberger Platz gelebt, mit Blick auf das „Haus des Kindes“, das Hermann Henselmann entworfen hatte und in dem er auch selbst mit seiner vielköpfigen Familie lebte. Schon als Kind bin ich gern mit meinen Eltern und meiner Schwester in dieses Haus gekommen, mit dem Fahrstuhl in die Milchbar im Dachgeschoß gefahren und habe die beeindruckende Aussicht die Stalinallee (die später aus bekannten Gründen in Karl-Marx-Allee umbenannt wurde) hinunter bis zum Frankfurter Tor genossen. Dort standen und stehen die beiden imposanten Kuppeltürme, die ebenfalls aus der Feder Henselmanns stammten und von denen man einen grandiosen Blick über die Dächer Berlins hat. Mein Interesse an Hermann Henselmanns rührt also vor allem aus dem persönlichen Erleben der Wirkung seiner Bauwerke her, ohne dass ich den Anspruch wagen würde, sie fachlich zu bewerten.

Und das gilt auch für das Buch von Elmar Kossel „Hermann Henselmann und die Moderne – Eine Studie zur Modernerezeption in der Architektur der DDR“, das gerade im Königsteiner Verlag Langewiesche Nachfolger erschienen ist. Der Autor hat dieses Werk als Promotion an der Freien Universität Berlin eingereicht und erfolgreich verteidigt, doch erfreulicherweise ist es weit entfernt davon, trockenen wissenschaftlichen Stoff darzubieten. Bei aller fachlichen Exaktheit, ohne die so ein Buch natürlich nicht auskommt, liest es sich auch für den interessierten Laien spannend und fesselnd.
Das Leben Henselmanns bietet dafür aber auch genügend Material. Als junger Architekt (geb. 1905) kam er schon früh mit der Moderne in Berührung, begeisterte sich für das Bauhaus, studierte die Bauten von Frank Lloyd Wright, Mies van der Rohe und Le Corbusier. So wollte auch er bauen, doch die Nazizeit machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Als „Halbjude“ abgestempelt, musste er seine Selbständigkeit aufgeben. Kossel zitiert aus Henselmanns Autobiographie von 1981 „Drei Reisen nach Berlin“: „Eines musste ich zunächst begreifen. Ich hatte zwar kein offizielles Berufsverbot, aber ich erhielt keine Aufträge mehr.“ Später war sein Fachwissen dann doch gefragt. Er wurde zum Bau von Musterdörfern im Wartheland (im heutigen Polen) herangezogen, und es blieb ein ungutes Gefühl, ob er als Antifaschist zu viele Kompromisse mit den Nazis gemacht hatte.
Die Chance für einen Neubeginn im Osten Deutschlands kam ihm wie gerufen. Für Architekten gab es natürlich nach den Zerstörungen des Krieges unglaublich viel zu tun. Sie waren gefragt wie kaum ein anderer Berufszweig, und Fachleute waren rar. So erlebte Henselmann einen rasanten beruflichen Aufstieg. Noch 1945 wurde er zum Direktor und Professor an die Hochschule für Baukunst und Bildende Künste in Weimar berufen, wo er theoretisch und praktisch versuchte, an die Vorkriegsmoderne anzuknüpfen (so z.B. in Entwürfen für Krankenhäuser und Schulen). Dann folgte er „dem Ruf der Partei“ nach Berlin an die Bauakademie, geriet mitten in die Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der Moderne, zu denen er sich ja zählte, und der Fraktion, die den sowjetischen Baustil auch auf die DDR übertragen wollte – was dann auch geschah, nicht zuletzt weil die Parteiführung um Walter Ulbricht diesen Kurs befahl. Die Leute um Henselmann mussten sich beugen und ihrer alten, „bürgerlichen“ Architekturauffassungen abschwören. In den ersten Entwürfen Henselmanns für die „Stalinallee“, die die erste sozialistische Straße in der DDR werden sollte, spiegelt sich diese Abkehr von der Moderne und Hinwendung zum Kopieren des Moskauer Bauens wider. „Na, wenn sie das so wollen, dann können sie das haben!“ zitiert der Autor den Gescholtenen an Hand der überarbeiteten Pläne für das Hochhaus an der Weberwiese. Dieser erste Neubau, für den sogar ein Lied geschrieben wurde („Es wächst in Berlin, in Berlin an der Spree ein Riese aus Stein an der Stalinallee…“) war gleichsam der Durchbruch hin zum Star. Am 01. Juli 1953 wurde Henselmann zum „Chefarchitekten“ der DDR-Hauptstadt ernannt, wo er mit den schon erwähnten prägnanten Bauten in der Karl-Marx-Allee, aber auch am Alexanderplatz mit dem „Haus der Lehrers“ und der Kongresshalle, bleibende Zeugnisse sozialistischen Bauens schuf.
Es ist ein großes Verdienst Elmar Kossels, diesen wenn auch widersprüchlichen, so doch erfolgreichen Werdegang Hermann Henselmanns sehr gründlich und präzise, frei von Vorurteilen und Häme (die man ja in der zeitgenössischen Rezeption der DDR-Geschichte auch findet) darzustellen und zu erläutern. Aussagekräftige Abbildungen tun ein Übriges, auch dem Nicht-Fachmann ein spannendes Stück deutscher Architekturgeschichte nahe zu bringen. Wie aktuell dieses Thema ist, zeigt ja auch die Debatte über eine Bewerbung der Karl-Marx-Allee im Osten und des Hansa-Viertels im Westen Berlins, in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen zu werden. Das schönste Fazit dieses interessanten Buches zog die Ehefrau Henselmanns, Irene, gegenüber dem Autor mit den Worten: „Ach, ich bin so froh, dass überhaupt mal jemand was Gescheites über Hermann schreibt!“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

13.04.2014
Mathias Ehrich
Hermann Henselmann und die Moderne. Eine Studie zur Modernerezeption in der Architektur der DDR. Kossel, Elmar. Hrsg.: Buttlar, Adrian von; Wittman-Engleret, Kerstin. 2013. 198 S. 200 s/w- und 2 fb. Abb. 25 x 17 cm. Pappe. EUR 39,80. CHF 52,90
ISBN 978-3-7845-7405-9   [Langewiesche - Königstein]
 
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