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Azteken

Der Begleitband zur 19. Landesausstellung in Baden-Württemberg, die vom 12.10.2019 bis 3.05.2020 im Stuttgarter Lindenmuseum zu sehen ist, widmet sich der mesoamerikanischen Hochkultur der Mexica, besser bekannt als Azteken. Mit über 190 Originalobjekten, Leihgaben aus Staatlichen- und Privatsammlungen rund um den Globus werden Leben und Sterben einer – allzu oft allein auf die blutigen Opferrituale reduzierte Ethnie Mittelamerikas des 13. - 15. Jh. näher beleuchtet. Hierfür haben die Kuratoren ausgewiesene Fachkollegen aus aller Welt zusammengetragen, die für den Katalog entsprechende Essay-Beiträge vorlegen, die nun in einem rundum gelungenen Katalogband im Hirmer-Verlag erschienen sind.

Der Leser wird in eine frühamerikanische Hochkultur mit komplexen administrativen Strukturen und durchorganisiertem Leben eingeführt, deren Handwerker, die sogenannten toltecayotl, bis heute atemberaubend anmutende Kunst-, Ritual- und Prestigeobjekte aus Rohmaterialien wie Obsidian, Vogelfedern und Ton erschafft haben. Die für die Herstellung dieser, für Ritualzwecke und die Oberschicht unter Führung des Königs, tlatoani, wichtigen Objekte, wichtigen Rohstoffe wurden über ein durchorganisiertes und weit verzweigtes Handels-, Allianz- und Tributsystem ermöglicht. Neben der reinen Beschreibung und Vorstellung dieser Kunstwerke steht daher die Beschäftigung mit dieser versunkenen Hochkultur in all ihrer Komplexität. Das dies durchaus gar nicht so einfach ist, liegt vor allem an der derzeitigen Quellenlage: Ein Großteil unseres heutigen Wissens über die Azteken speist sich nämlich aus den zeitgenössischen bzw. etwas später geschriebenen Berichten der spanischen Eroberer – unter ihnen H. Cortés, der sagenumwobene Conquistador und Eroberer, der letztlich 1521 den Sieg über die Azteken herbeiführt. Diese spanischen Chroniken sind selbstverständlich mit entsprechender politischer Agenda im Hintergrund verfasst und müssen daher äußerst kritisch gelesen werden. Aber selbst die sogenannten Codizes, die selten erhaltenen Bilderhandschriften, stammen großteils aus der Zeit nach der spanischen Eroberung und bilden somit möglicherweise nur noch Tendenzen der einstigen Lebenswelt der Mexica ab. Aus diesen Gründen wiegt freilich die Bedeutung der kritischen Auseinandersetzung mit den vorwiegend bildlichen Quellen im Gegenzug zu den archäologischen Funden und Ausgrabungen. Wenngleich eine Vielzahl an Funden in den unterschiedlichen Sammlungen vorliegt, so ist doch gleichzeitig erdrückend, wie wenige wirkliche archäologische Untersuchungen bislang auch im großen Stil erfolgen konnten. Eine große Schwierigkeit besteht dabei darin, dass die ehemalige Hauptstadt der Mexica, das sagenumwobene Tenochtitlan, unter den Gebäuden der modernen Hauptstadt Mexico-City liegt, was großräumige Grabungsaktivitäten erschwert. Der Katalog gibt nun Einblick in einige der neueren Grabungsaktivitäten, die dabei helfen die Architektur, Stadtstruktur und Rituallandschaft der Azteken in teils neuem Licht zu sehen. Als ein solches besonderes Prestigeobjekt der mexikanischen Archäologie wird das, von Eduardo Matos Moctezuma 1978 ins Leben gerufene Templo Mayor-Projekt vorgestellt, eines der wenigen Langzeitprojekte der Hauptstadt, das es sich zur Aufgabe gemacht hat diesen ungemein wichtigen Gebäudekomplex, einem der Haupttempel, im Herzen Mexikos auszugraben (S. 37–46; S. 173–182). Bis 2017 sind so 1,29 ha ausgegraben, was hochgerechnet nicht mehr als ca. 10 % der Gesamtfläche darstellt (S. 44). Es ist somit auch in den kommenden Jahren noch mit weiteren spektakulären Entdeckungen zu rechnen. Weitere Grabungsprojekte, wie die des Huei Tzompantli, dem Ballspielplatz und dem Areal des Ehecatl-Quetzalcoatl-Tempels (S. 236–253) informieren über die Probleme und Lösungen solcher Grabungen inmitten des modernen städtischen Lebens. Sie helfen dabei aber maßgeblich unser Wissen und die mögliche Funktion von Schädelwänden bzw. -türmen inmitten der alten Hauptstadt und weitere Ritualplattformen, die so immens wichtig für das Alltagsleben und die damit eng verwobenen Rituale der Azteken waren, besser zu verstehen. Interessant ist dabei auch die in einem eigenen Essay kurz vorgestellte Problematik des Opfers im alten Mexiko, dass unweigerlich in der Außenwahrnehmung die aztekische Kultur bis heute dominiert. Die beiden Autoren M. Jansen und G. A. Pérez Jiménez stellen eine ganze Bandbreite unterschiedlichster Opferarten vor, darunter auch die Menschenopfer. Letztere, für die sie den Begriff der „ritualisierten Hinrichtung“ (S. 264) bzw. der „sozial sanktionierten Tötung“ (E. Graham und Golson 2006) vorziehen, waren sehr wahrscheinlich gar nicht so häufig, wie man allgemein vermutet und werden versucht in das generelle Opferverständnis der aztekischen Kultur einzubinden.

Die einzelnen Ausstellungsstücke, die teils im Essay-Teil bereits in großformatigen und vorzüglichen Farbfotografien abgebildet werden, sind in einem ausführlichen Katalog nochmals am Ende des Bandes zusammengestellt und werden sowohl in Bild als auch kurzen Beschreibungstexten vorgestellt und kommentiert (S. 284–343). Der Verweis auf Sekundär- und weiterführende Literatur, sowie das ausführliche Literaturverzeichnis machen es somit möglich, sich mit den einzelnen Objekten über den Katalog hinaus weiter zu informieren.

Den Herausgebern ist ein hochinteressanter Band gelungen, der uns die untergegangene Kultur der Mexica in seinen verschiedenen Facetten näherbringt und dabei die bis heute ungeklärten fachwissenschaftlichen Debatten nicht verschweigt. Dazu ist der Band zumeist hervorragend bebildert und lässt uns, gerade in diesen schwierigen Zeiten, die Ausstellung auch auf dem Papier nachverfolgen. Allein im Falle der deutschen Übertragung der spanischen Beiträge fällt auf, dass die Legenden zu den Grabungsplänen und Beschriftungen in den Abbildungen im Spanischen belassen worden sind. Gerade in Hinblick auf eine breite interessierte deutsche Leserschaft, wäre es sicher wünschenswert gewesen, sich der Mühe der deutschen Übertragung zu stellen.
Wem der interessante Katalog nicht genügt, dem sei in diesen Tagen das digitale Angebot des Lindenmuseums ans Herz gelegt. Hier können Interessenten zu den angegebenen Terminen eine Live-Führung durch I. De Castro verfolgen, die weitere Einblicke in die Ausstellung erlauben (im Internet: www.lindenmuseum.de).

03.04.2020
Robert Kuhn
Azteken. Hrsg.: Berger, Martin; de Castro, Inés; Kurella, Doris. 360 S. 395 fb. Abb. 27 x 21 cm. Hirmer Verlag, München 2019. EUR 34,90. CHF 42,60
ISBN 978-3-7774-3377-6
 
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