|
|
[zurück] |
Das Fürstentum Lüneburg - Fünf Jahrhunderte Kartographiegeschichte (1492-1889) |
Das auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsen gelegene Fürstentum Lüneburg war ein Reichslehen des Welfenhauses. Es erhielt 1428 im Wesentlichen die Grenzen, die jahrhundertelang Bestand hatten. 1705 kam es zum Anschluss an das Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg, in dem es immerhin als Verwaltungseinheit bestehen blieb. Um 1585 schuf Johannes Mellinger (um 1538 - 1603) die erste Gesamtkarte des Fürstentums. Der ab 1578 als Leibarzt des Herzogs Wilhelm der Jüngere von Braunschweig-Lüneburg in Celle wirkende Gelehrte war bis dahin als Kartograph mit Karten von Thüringen (1568), der Grafschaft Mansfeld (1571, zusammen mit Tilemann Stella) und des Stifts Hildesheim (1577) in Erscheinung getreten. Seine Lüneburg-Karte beruht auf einem Atlas der Ämter und Vogteien des Fürstentums, den er in den 1580er Jahren angefertigt hatte. Aus 42 Ämterkarten fügte Mellinger eine Gesamtkarte zusammen, die 1592 wohl von Paulus Wolf in Weimar als Kupferstich gedruckt wurde. Für die folgenden etwa 150 Jahre blieb Mellingers Karte das Vorbild aller Lüneburg-Karten, die allenfalls in der Gestaltung, aber kartographisch kaum modifiziert wurden. Die enorme Verbreitung seiner Landesaufnahme verweist auf die allgemeine Bedeutung der Vermessung einzelner Herrschaftsgebiete für die Territorialisierung in der Frühen Neuzeit. Mit Hilfe genauer Karten konnten Gebietsansprüche untermauert, juristische Auseinandersetzungen geführt und die fürstliche Verwaltung organisiert werden.
Der Kartographiehistoriker und Antiquar Dr. Eckhard Jäger strebt mit seinem kartobibliographischen Werk eine lückenlose Bestandsaufnahme aller relevanten Lüneburg-Karten an. Jeder Katalogeintrag bietet, neben den technischen Angaben, Informationen zu den Autoren, den Entstehungsumständen, der Funktion und zum erfassten Gebiet der 121 Karten, die in hervorragender Qualität und mit zumeist entzifferbaren Ortsnamen reproduziert werden. Auftakt bildet die Darstellung von Lüneburg und Umgebung auf der Ebstorfer Weltkarte, einer in jüngster Zeit auf um 1300 datierten mittelalterlichen Mappa Mundi. Da in diesem Gebiet auch weniger bedeutende Orte verzeichnet sind, liegt eine Entstehung in Niedersachsen nahe – wahrscheinlich im Kloster Ebstorf, dem Aufbewahrungsort der Karte bis 1835. Frühe gedruckte kartographische Abbildungen des Gebiets finden sich auf der „Carta Marina“ (1539) von Olaus Magnus oder der „Caerte van Oostlant“ (1543) von Cornelis Antoniszoon, die Nordeuropa bzw. den Ostseeraum zeigen. Andere großräumige Karten mit dem Lüneburger Territorium sind die Niedersachsenkarten Christian Sgrothens (1578) und Gerhard Mercators (1585).
Die Einbeziehung einiger unikaler Manuskriptkarten verweist auf einen wichtigen Zweck frühneuzeitlicher Kartographie: In sogenannten Augenscheinkarten wurden kleinere Landstriche wie etwa Grenzverläufe präzise kartiert, um vor Gericht zur Untermauerung der Ansprüche der Parteien zu dienen. So spielte z.B. Melchior Lorichs Karte der Unterelbe (1568) in der juristischen Auseinandersetzung zwischen den Herzögen von Braunschweig-Lüneburg und der Stadt Hamburg um das Stapelrecht der passierenden Schiffe eine wichtige Rolle. Daniel Frese, ein ab 1570 in Lüneburg ansässiger Maler und Kartograph, zeichnete ähnliche Grenzgebietskarten, z.B. vom Hinterland der Moorburg (1577) oder von der Landwehr der Stadt Lüneburg (1576). Eine Augenscheinkarte des Fürstentums Lüneburg (1569) von Martin Bokol und Franz Buch verzeichnet die Überschwemmungen an den Flüssen Elbe und Ilmenau.
Bei den gedruckten Beispielen werden vielfältige kartographische Stammbäume sichtbar, die den Einfluss bestimmter Karten, Nachahmungen und Verbesserungen verdeutlichen. Im Falle Mellingers lässt sich das Nachwirken seiner Karte in den Produkten so bedeutender Kartenstecher und -verleger wie Matthias Quad, Jodocus Hondius, Willem Jansz. Blaeu, Johannes Janssonius, Johannes Janssonius van Waesberghe und Moses Pitt, Petrus Schenk d.Ä. und Gerard Valk, Nicolaus Visser, Johann Baptist Homann oder Matthäus Seutter verfolgen. Mercators Niedersachsenkarte (1585), die neben dem Lüneburger Gebiet auch erstmals den westlichen Landesteil Mecklenburgs kartiert, wurde – trotz einiger Ungenauigkeiten – noch mehr als 50 Jahre später von Janssonius kopiert. Einen weiteren Bogen spannt Jäger von der ältesten gedruckten Spezialkarte der Fürstentümer Braunschweig und Lüneburg von Abraham Ortelius (1590), über Giacomo Cantelli da Vignola (1691), bis zu Herman Molls Karte von Braunschweig-Lüneburg (1715), des seit 1714 unter dem Welfen George I. zu Großbritannien gehörenden Kurfürstentums.
Das letzte Jahrhundert von Jägers Untersuchungszeitraum bietet Marksteine wie Johann Wilhelm Abraham Jaegers Deutschlandkarte (1789), Franz Johann Joseph von Reillys mehrteilige Lüneburg-Karte (1791), August Papens Übersichtskarte des Königreichs Hannover (1838) sowie die Preußische Landesaufnahme (1889), aber auch thematische Karten wie Friedrich Wilhelm Ohsens Postkarte von Braunschweig-Lüneburg (1805), Wilhelm Böhmers Statistische Karte der Landdrostei Lüneburg (1833) oder Heinrich Steinvorths Geognostische Karte der Provinz Lüneburg (1864).
Jäger stellt seinem Werk einen Überblick voran, der die im Katalog versammelten Lüneburg-Karten in den Kontext der europäischer Kartenproduktion stellt. Viele der behandelten Karten waren in Zentren wie Venedig, Rom, Antwerpen, Amsterdam, Paris, London, Nürnberg oder Augsburg entstanden, so dass der Autor zugleich die großen kartographiehistorischen Entwicklungslinien nachzeichnen konnte: Von den Weltbildern und Portolanen der mittelalterlichen Kartographie – über die modernisierten Ptolemäus-Ausgaben am Beginn der Neuzeit, den Auftakt der Atlasproduktion bei Abraham Ortelius und Gerhard Mercator sowie die niederländische und deutsche Verlagskartographie mit Exponenten wie Willem Jansz. Blaeu, Johannes Janssonius, Johann Baptist Homann oder Matthäus Seutter – bis hin zur Verwissenschaftlichung der Kartographie im Zeitalter der Aufklärung in Frankreich und der an Präzision jahrzehntelang unübertroffenen Preußischen Landesaufnahme. Regionale Kartographie nicht isoliert zu betrachten, sondern am konkreten Beispiel europäische Kartographiegeschichte zu erzählen, ist eine Qualität von Jägers Studie, die bereits seine früheren karto-bibliographischen Standardwerke über das Kartenbild Ostpreußens (1982) oder der Insel Rügen (2014) auszeichnet. Abgerundet wird Jägers neues Buch durch einen Anhang mit ausführlichem Literaturverzeichnis, Personenregister, Glossar, Abkürzungen und Erläuterungen zu den erwähnten Maßen, Münzen und Papierformaten.
01.12.2024 |
Michael Bischoff, Berlin |
Das Fürstentum Lüneburg. Fünf Jahrhunderte Kartographiegeschichte 1492-1889. Jäger, Eckhard. 2024. 294 S. 21 x 29,7 cm. Rockstuhl Verlag, Bad Langensalza 2024. EUR 99,95. |
ISBN 978-3-95966-742-5
|
|
|
|
|
|