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Kunst + Buch + Kinder

Wo gibt es denn so etwas? Ein Künstlerbuch, das Kinder und Erwachsene spielen können zum Preis eines ganz normalen gebundenen Buches? Bei Mario Grasso, einem italienischen Künstler, der mit dem Buch „Auf los geht's los!“ seine Erfolgsgeschichte im Genre Bücher, die man spielen kann, fortsetzt. Mario Grasso (*1941), als Illustrator, Texter und Designer tätig, verkörpert jenen Typ Künstler, wie ihn sich das in Meran ansässige Ó.P.L.A., (Oasi per libri artistici) Dokumentationszentrum für Künstlerbücher für Kinder wünscht. Das Zentrum, eine Oase ist sie allemal, sammelt und forscht zu diesen ästhetisch besonders wertvollen Bücher und macht sie Kindern zugänglich. Mittlerweile blickt es auf einen Bestand von 500 Büchern zurück und beschloss, einige davon in eine von Valerio Dehò konzipierte Ausstellung (29.4.-17.6.2007) und einen Katalog, betitelt mit „Children‘s Corner“, zu packen. Ihn gibt es in mehreren Sprachen als jeweils zweisprachige Ausgabe, so z. B. in deutscher / italienischer Sprache. Es handelt sich bei diesen Buchobjekten, so Barbara Nesticò im Katalogbeitrag, um Kunstwerke. Als Künstler im Sinne des Zentrums werden Maler, Bildhauer, Fotografen, Designer, Grafiker aber auch Regisseure angesehen und es werden deren Buchkunstwerke in mehreren Abbildungen im ersten Teil des Katalogs in alphabetischer Reihenfolge der Künstlernamen vorgestellt. In dieser Kinderecke werden zwei Ecken jedoch freigehalten für Abbildungen von Kunstwerken für Kinder, die nicht als Buch, sondern als herkömmliches Kunstwerk geschaffen wurden. Zu sehen ist ein Mobile von Bruno Munari oder eine Installation von Michelangelo Pistoletto.

Aus Liebe zur Sache und wirtschaftlich erfolgreich: Leo Lionni

Dass Abgrenzungen in Sammelgebieten häufig schwierig sind, zeigt sich auch beim Ó.P.L.A.. Der Schwerpunkt liegt zeitlich auf dem 20. Jahrhundert und räumlich geht es auf Weltreise mit einem Schwerpunkt auf Italien, auf das 18 der 61 ausgewählten Künstler entfällt. Einer fehlt aus Italien trotzdem, Mario Grasso. An seinem, wie am Fall von Leo Lionni lässt sich das Problem dieser Abgrenzungskriterien zeigen. Gesammelt werden 1) Kinderbücher, an deren Konzeption, Planung und Durchführung der Künstler einwirkte. Dass man diese Mitarbeit dem Endprodukt ansehe, wird im Katalog angenommen, in Lionnis Fall aber versagt das erste Kriterium ebenso wie das zweite, dass an der Orientierung des Künstlers, idealistische versus materielle Motivation, festgemacht wird. So wird im Katalog von Lionni, das auch hierzulande unter dem Titel „Das kleine Blau und das kleine Gelb“ (im Original: piccolo blu e piccolo giallo“) erhältlich ist, als Künstlerbuch vorgestellt. Keinesfalls ist jedoch eindeutig an diesem Buch so wenig wie an den vielen Lionni-Büchern, angefangen von Swimmy und Frederick, eine idealistische Herangehensweise erkennen, da dem Buch keine außergewöhnliche Ausstattung zu eigen ist, wie sie Künstlerbüchern ansonsten zugeschrieben wird. Da dem Katalog keine begleitenden Texte beigegeben wurden, erschließt sich die Motivation des Künstlers dem Publikum auch nicht textlich. In jedem Fall aber ist Lionni, so gut wie Grasso, wirtschaftlich erfolgreich und schuf formal außergewöhnliche Bücher für die Kleinsten, in denen er häufig, wie in „Matthias hat einen Traum“ oder im „Buchstabenbaum“ das Potential von Kunst und Literatur, eine Welt jenseits des vordergründig Nützlichen zu entwerfen, beschwört. Am Ende weiß Matthias, ja, ich will Künstler werden.

Vom Auffinden der Bücher und Hannah Höchs Bilderbuch

Die Bücher von Lionni und Grasso sind leicht zugänglich, Publikumsverlage wie Beltz & Gelberg und Lappan machen es möglich. Ganz anders sieht es bei Büchern aus, auch davon berichtet Nesticò im Katalog, die in Kleinstverlagen, als Pressen- und Privatdrucke erschienen sind und häufig exklusiv ausgestattet sind. Als solche Privatdruck erschien z.B. das im Katalog genannte Werk von El Lissitzky „Pro dva Kvadrata“, das 1988 im Berliner Gerhardt Verlag erschien. Mit ihm bekannt war auch Hannah Höch, deren schlicht mit „Bilderbuch“ betiteltes Werk erst 1985 als bibliophile Ausgabe in 200 Exemplaren erschien. Hier sind die Kriterien besondere Ausstattung und Gestaltung durch den Künstler erfüllt, jedoch Höch konzipierte das Buch mitten im zu Ende gehenden Zweiten Weltkrieg als Projekt, um damit Geld zu verdienen, ja, ganz handfest „etwas Brot ins Haus“ zu bringen. Dies schreibt die Autorin Gunda Lyken im Nachwort des 2008 vom Verlag The Green Box Kunst Editionen in Berlin herausgebrachten Nachdrucks in dem man die von Höch imaginierte Pflanzen- und Tierreich bestaunen kann, in dem sich „Mantelfässchen“ und „Patschamataks“ tummeln.

Text und Bild tanzen bei Lawrence Weiner

Im Grußwort des Katalogs geht der Meraner Bürgermeister auf den im Bereich Bilderbuch besonders wichtigen Zusammenhang von Text und Bild ein, da Kinder den Umgang mit beiden Kulturtechniken erst noch lernen müssen. Wie spielerisch gelernt werden kann, zeigt vorbildlich der Konzeptkünstler Lawrence Weiner in „Something to put something on“, liegt es im Ansatz dieser Kunstrichtung doch, die Stelle, die sonst Bilder einnehmen, zu verschriftlichen und dabei umgekehrt dem Wort eine eigene ästhetische Qualität zuzusprechen. Das Spiel mit Kontexten, Bedeutungen, hier am Beispiel eines Tisches vorgeführt, soll gewohnte Sichtweisen und Zusammenhänge hinterfragen. Auch bei diesem, bei Little Steidl erschienen Buch, wird das Kriterium des Zentrums übererfüllt, dass der Künstler an der Buchgestaltung mitwirken soll, da das Buchdesign vom Künstler selbst stammt. Es ist im besten Sinn ein „LookBook“, im Meraner Katalog ist dafür u.a. die Künstlerin Tana Hoban zuständig, die noch weitere Bücher zu elementaren Wahrnehmungserfahrungen, mit „ Of Colors and Things“ und „Blanc sur Noir“ vorlegte.

Eine neue Generation tritt mit Blex Bolex auf

Von der Kunst seine Ideen zu verfolgen handelt das Künstlerbuch von Michel Huelin „Pas permis ou l’art de suivre ses idées“, dass durch die gewählte gepixelte Schrifttype auf der Einbandgestaltung auf eine neue, digitale, Ästhetik verweist. Diese wird gern von einer jungen, mit den digitalen Möglichkeiten vertrauten, Generation verwendet, erweitert sie den Formenspielraum doch beträchtlich. Leider fehlen im Meraner Katalog die Lebensdaten der Künstler und so ist nur zu vermuten, dass der dort präsentierte japanische Künstler Katsumi Komagata auch zu dieser Generation gehört. An diesen Werken lässt sich auch ein Aspekt zeigen, der auf viele, der im Zentrum gesammelten, Bücher zutrifft. Sowohl für Text als auch für Bild ist lediglich ein Künstler zuständig: John Armleder, Paul Cox oder Sophie Curtil gehören ebenso in diese Rubrik wie auch Blex Bolex, dessen 2008 beim Verlag Jacoby & Stuart erschienenes Buch „Leute“ alsbald den Weg nach Meran antreten wird, da auch hier ein, vom Künstler durchkomponiertes, Gesamtkunstwerk vorliegt. In „Leute“ gruppierte Bolex mit seinen piktogrammartigen flächigen Zeichnungen ein erdachtes Tableau menschlicher Möglichkeiten und Typen geschickt als Gegenüberstellung und spielt so mit den Möglichkeiten von Sprache. Dabei paaren sich in diesem Piktotopia Dunkelmänner als „Schlafwandler“ und „Höhlenforscher“ oder Nadelarbeiter in Gestalt einer „Näherin“ und eines „Fakir“.

Das Alphabet, der Katalog und die Zauberin Květa Pacovská

Der Katalog bietet eine große Vielfalt künstlerischer Positionen und kreuzt quer durch das Universum hierzulande unbekannte Künstler wie Carla Accardi oder Istvan Banyai, die auf auf Künstler, die im Kinderbuchsektor wenig, in der Kunstwelt dagegen sehr bekannt sind, treffen : Alighiero Boetti, John Armleder, Keith Haring, Ellsworth Kelly oder Andy Warhol. Einige, wie Bruno Munari, sind in ihren Heimatländern, hier Italien, sehr, in Deutschland dagegen wenig bekannt. Auch zwischen den Künsten herrscht reger Austausch. Wer sich für Fotografie interessiert, kennt William Wegman. Er schuf aber auch Künstlerbücher für Kinder und ist mit zwei Werken „1 2 3“ und „ABC“ vertreten, wie überhaupt das Genre von ABC-, Farben-, Formen- und Zahlenbüchern stark vertreten ist. Boetti: „Da uno a dieci“, Paul Cox: „Le livre le plus long“, Sonja Delaunay: „L’Alphabet“, Ellsworth Kelly: „Line Form Color“ und die Liste ließe sich fortsetzen über Bruno Munaris „Alfabetiere“ oder Ann und Paul Rands „Little 1“. Unbedingt aber muss beim P eine kleine Rast eingelegt werden, denn da hat die Grande Dame des Sichtbaren und Sagbaren, Květa Pacovská (*1928), ihren Auftritt. Die politische Ost-West-Eiszeit verhinderte bis 1989, dass ihr Werk auch hierzulande betrachtet werden konnte. Im Meraner Katalog ist sie mit ihrem 1994 in Deutschland erschienenen „Formenspielbuch“ und mit dem 1999 in Paris erschienenen roten Hörnerbuch „Corne Rouge“ vertreten. Auch diese Künstlerin befasst sich in ihrem Werk mit den Elementarbausteinen der Kulturtechniken Lesen, Rechnen, Bildbetrachtung. So schön und sorgfältig der Katalog auch gemacht ist, gerade am Beispiel ihrer Werke wird deutlich, Abbildungen können nur ein schwacher Ersatz für Originale sein. Kinder und Erwachsene sind daher regelmäßig begeistert, wenn es eine Ausstellung von ihr gibt. Das war 2001 der Fall und da die Künstlerin, die von der russischen Avantgarde inspiriert, die Quadratform liebt, packte der Benteli Verlag in „Open Space“ die Abbildungen ihrer Werke ins Buchquadrat. Dort wird man auch fündig, was die Künstlerin bewegt: „Fast alle meine Bilder beschäftigen sich mit Schrift“, ihr Konzept hat sie bündig als ein „Visual Reading“ bezeichnet. Zum Glück erkannte man auch im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt / Main, welche Schätze die in Prag geborene Künstlerin noch in ihren vielen Schubladen aufbewahrte und setzte das „Visual Reading“ in einer Ausstellung vom 13.7.2007 bis zum 6.4.2008 fort. Daraus wurde wieder ein Katalog, dieses Mal im Rechteck, auch als offener Raum, der den „maximum contrast“ vorführt und dies bedeutet für die Künstlerin „maximale Schönheit“. In beiden Pacovskà-Hommagen stimmt alles, Bild und Text, Gestaltung und exzellenter Druck. Es entstand ein P-Pluriversum in leuchtenden Farben: zarte Papierarbeiten, Plakatentwürfen, Skulpturen, Büchern und Kunstobjekten. Nicht nur über einem ihrer schönsten Werke, dem „Paradiesbuch“ könnte der Satz von Jorge Luis Borges stehen: „Ich habe mir das Paradies immer als eine Bibliothek“ vorgestellt. In dieser gibt es von der Künstlerin Illustrationen zu „Der kleine Blumenkönig“, dem „Mädchen mit dem Schwefelhölzchen“ und viele Kostbarkeiten mehr.

Buchraum als Kunstraum

Das Buch, so im Frankfurter Katalog, Eva Linhart, nehme bei Pacovskà eine „Schlüsselstellung“ „innerhalb ihres bildnerischen Schaffens“ ein und deshalb widme das Museum ihr diese Ausstellung. Treffender als hier, den „Buchraum als Kunstraum“ zu verstehen, kann man auch das Anliegen des Meraner Dokumentationszentrums nicht zusammenfassen. Auch wenn die Abgrenzungsfrage von Bilderbuch zu Künstlerbuch schwierig bleibt, betreibt die Meraner Ausstellung und das Zentrum kulturelle Bildung beim zukünftigen Museums- und Ausstellungspublikum. Damit ist in diesem Museum eine Forderung des Professors für Kulturmanagement, Armin Klein, aktiv kulturelle Kinderbildung zu betreiben, bereits institutionalisiert. In seiner, den Meraner Katalog abschließenden Rede, betont Dehò die Bedeutung des Spiels und Spielens und „Children’s Corner“ bietet auch für Erwachsene ein Grasso-Spiel: Die Schatzinsel.
12.8.2009



Sigrid Gaisreiter
Valerio Dehò / Barbara Nesticò / Marzia Corraini: Children‘s Corner. Künstlerbücher für Kinder. In deutscher und italienischer Sprache. Übersetzung von Theresia Prammer. Kart., 148 S., 233 ffb. Abb., Mantova. Edizioni Corraini. 2007. EUR 35,00
ISBN 978-88-7570-117-8
 
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