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Gerhard Marcks. Das plastische Werk

Ein Œuvre-Verzeichnis für den späten Gerhard Marcks? Manchem wird er allenfalls noch als Leiter der Bauhaus-Töpferei bekannt sein oder als Schöpfer von Mahnmalen der Nachkriegszeit.
Im Oktober 1981 vollendet der 92jährige Gerhard Marcks sein letztes Bildwerk: den unterliegenden Prometheus. Der niedergesunkene, auf dem Rücken liegende Greis hat unverkennbar porträthafte Züge. Ein Adler hat sich in die Brust verkrallt, setzt eben an, mit gesenktem Schnabel in die Leber zu stoßen. Arme und Knie des Alten sind aufgerichtet, eben noch zur Abwehr bereit. Ist es aber nicht eher schon Resignation? An Marguerite Wildenhain schrieb Marcks: "Und wo soll ich mit meinem Prometheus hin? Er ist der Ketzer und paßt in keine Kirche, keine Bank, keinen Park. Ein Protest, an dem ich fünfzig Jahre unbewußt gearbeitet habe." Fast fünfzig Jahre lag es zurück, daß Marcks, damals Lehrer an der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein, beim Oberbürgermeister der Stadt Halle gegen die Entlassung eben jener jüdischen Kollegin Wildenhain protestiert hatte: „(...) lassen Sie nicht zu, daß kurzerhand von der begehrlichen Mittelmäßigkeit ein Werk zerstört wird, das richtunggebend in Deutschland war." Er verbat sich zugleich Rücksichtnahme auf seine eigene Person, „(...) um deren Erhaltung auf ihrem Posten bitte ich nicht." Im Juli 1933 wurde er aus dem Lehramt entlassen.
Marcks galt fortan als entartet. Popularität und Auftragsfülle setzten in der Nachkriegszeit ein und schlugen sich in fast 60 Einzelausstellungen nieder, auch in der Teilnahme an der 1. documenta. Es gab zahlreiche öffentliche Aufträge, etwa den Fries der Heiligen an der Lübecker Katharinenkirche in Vollendung eines Entwurfes von Barlach, den Charonsnachen auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg, die "Bremer Stadtmusikanten" beim dortigen Rathaus. Marcks wurde zum führenden Repräsentanten der Denkmalplastik der Adenauer-Zeit, ein letzter großer Sproß der Berliner Bildhauerschule, als dessen frühe Freunde Richard Scheibe oder Georg Kolbe längst Klassiker-Status hatten.
Gerhard Marcks hatte 1928 in Griechenland die archaische Skulptur für sich entdeckt. Damit nahm er Abschied von neoklassischen und später expressionistischen früheren Werkphasen. Und dieser Archaik blieb er von da an, in zunehmendem Maße sogar, verbunden. Die Grundlinie seines Œuvres, die sein Werk von "Europa mit dem Stier" (1930) bis zum "Prometheus und der Zeus-Adler" (1981) durchzieht, prägt auch das Spätwerk, das nun in einem Œuvrekatalog vollständig aufgearbeitet wurde: die Jahre 1973 bis 81. (das vorangehende Œuvreverzeichnis war bereits 1977 durch Günter Busch und Martina Rudloff herausgegeben worden).
Die späte Ernte des Mittachtzigers bis 92jährigen ist schon rein quantitativ höchst eindrucksvoll: Über 200 Skulpturen beschert das letzte knappe Lebensjahrzehnt, dazu Holzschnitte, Lithographien und farbige Kreidezeichnungen ("ik habe mir die Malerei anjewöhnt", paraphrasierte Marcks seinen Zunftgenossen Schadow).
Dem alten Meister Marcks gelingen überraschend gültige Formulierungen in der Porträtplastik, so die Büsten seines Kollegen Waldemar Grzimek oder Wolf Graf Baudissins. Die Tierplastik, seit der Schülerschaft bei August Gaul fester Bestandteil im Marcksschen Schaffen, exzelliert weiterhin in Katzen. Entscheidend aber bleiben die "Puppen", wie Marcks zu sagen beliebte, die Skulpturen in ganzer Figur, seien sie nun in Handlung begriffen (wie die musizierenden Virtuosen) oder als Akt gestaltet, Mythologisches oder Zeitgenossenschaft repräsentierend. In allen Fällen bleibt der Künstler seinem Ideal treu: Schlanke oft überschmale Körperformen der Akte in statuarischer Strenge und von antiker Sinngebung prägen auch das Alterswerk. Das "unaufdringliche, genügsame Pathos der Figuren" (Jürgen Fitschen) kann sich aber auch zu dramatischen Situationen steigern, so sein "Actus Tragicus",: drei Männer um einen Verwundeten bemüht. Marcks fand scheinbar zeitferne Gestaltungen in mythologischem Gewand, die sich für uns längst wie Vorwegnahmen zeitgemäßer Mythologie in der Kunst lesen lassen.
5.2.2005
Jörg Deuter
Gerhard Marcks. Das plastische Werk. Werkverzeichnis. Teil 2. 120 S. 266 fb. u. sw. Abb. 32 cm. Gb Kerber, Bielefeld 2004. EUR 38,-
ISBN 3-936646-31-7
 
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