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Thomas Theodor Heines Briefe

Sein Monogramm - TTH - kenne in Deutschland jedes Kind, schrieb der Maler Lovis Corinth 1906 über Thomas Theodor Heine. Heine (1867-1948) war seit der Gründung des "Simplicissimus" durch den Münchner Verleger Albert Langen 1896 der wichtigste politische Zeichner dieser Satirezeitschrift, und er war zur Berühmtheit geworden, nachdem ihn ein Prozess wegen Beleidigung Kaiser Wilhelms II. für ein halbes Jahr in Festungshaft gebracht hatte. Heine blieb fast vierzig Jahre dem "Simpl" treu und holte 1929 Franz Schoenberner (1892-1970) als Redakteur zu "seiner" Zeitschrift. Schoenberner hatte nach dem Studium der Literatur- und Kunstgeschichte als Journalist und zuletzt als Redakteur der Münchner Zeitschrift "Jugend" gearbeitet. Im Frühjahr 1933 setzten die Nationalsozialisten sofort nach ihrer Machtergreifung die Redaktion des "Simplicissimus" unter massiven Druck, hatte doch die Zeitschrift und vor allem Heine selbst, jahrelang den Aufstieg der Nazis kritisch dargestellt. Während Zeichner wie Karl Arnold, Olaf Gulbransson, Erich Schilling und Eduard Thöny zu Konzessionen an die neuen Machthaber bereit waren, um die Zeitschrift zu retten, mussten Heine und Schoenberner, die dies vehement ablehnten, untertauchen und aus Deutschland fliehen. Dem Juden Heine wurde von seinen ehemaligen Kollegen sogar die nazifeindliche Ausrichtung des Blattes vor 1933 in die Schuhe geschoben. Heine floh nach Prag und musste in den folgenden Jahren entsprechend der Expansion Nazi-Deutschlands dann weiter nach Norwegen und Schweden fliehen. Er überlebte als politischer Zeichner für Tageszeitungen und als Portraitist mehr schlecht als recht, bewahrte sich aber trotz seines fortgeschrittenen Alters und der existentiellen Bedrohung den Lebensmut und sogar den Humor. In 125 Briefen und Postkarten berichtete Heine zwischen 1933 und 47 an Schoenberner über die Querelen des Emigrantenlebens, die Projekte und die Strategien des Überlebens. Sie blieben in Schoenberners Nachlass im Archiv der University of Texas in Austin erhalten und waren bislang kaum jemandem bekannt. Die Antworten Schoenberners konnte Heine anscheinend auf der Flucht nicht mitnehmen, sie sind leider nicht erhalten. Auch wenn die Korrespondenz für uns heute einseitig bleibt, stellen diese Briefe ein außergewöhnliches Dokument des Exillebens dar und geben darüber hinaus einen Einblick in Leben und Denken Heines, dessen literarische Fähigkeiten ansonsten nur noch durch seine romanhafte Autobiographie "Ich warte auf Wunder" bekannt sind. Thomas Raff, der schon die Heine-Retrospektive im Jahr 2000 in München und Berlin erarbeitet hatte, bietet in seinen Anmerkungen zu den Briefen den Hintergrund der personellen Netzwerke und historischen Bezüge, der die Briefe dem Leser heute erst verständlich macht. Weitere Texte Heines aus der Exilzeit, ausführliche Register und ein Nachwort runden die vorbildliche Edition dieser Briefe ab. Wie in den Zeichnungen des "Simplicissimus" wird so Geschichte auch in ihren traurigen Kapiteln unterhaltsam erschlossen. Das Buch bietet damit nicht nur für Kunstinteressierte eine spannende Lektüre.

7.1.2005
Andreas Strobl
Die Wahrheit ist oft unwahrscheinlich. Thomas Theodor Heines Briefe an Franz Schoenberner aus dem Exil, Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt Bd. 82, hrsg. von Thomas Raff, 472 S., 20 Abb., 23 cm, Gb., Wallstein, Göttingen 2004, EUR 32,-
ISBN 3-89244-465-X
 
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