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Mit dem Pferd nach Havanna

Ein wilder Ritt über den Atlantik

Keine Angst: Er will nur zeichnen! Diese Beruhigung könnte man allen zurufen, die von der ebenso wilden wie ehrlichen Autobiographie des Malers Siegfried Kaden zurückzucken. „Maler“, das ist schon die falsche Charakterisierung dieses Allround-Künstlers, der 2021 nach schwerer Krebserkrankung verstorben ist. „Lebens-Comic“ hatte Kaden seine Autobiographie genannt, die er 2007 während eines Stipendiums in Mexico City in wenigen Wochen auf die Wände eines ehemaligen Klosters gezeichnet hatte. Nach der Ausstellung wurde sie übertüncht. Als der Künstler am Beginn der Covid-Pandemie im Jahr 2000 bereits schwer erkrankt mit dem letzten Flugzeug aus seiner neuen Heimat Kuba in seine alte Heimat München zurückkehrte, war es ihm klar, dass er diesen Lebens-Comic noch auf Papier bringen musste. Es gelang ihm seine Skizzen von 2006/07 aus Kuba bringen zu lassen, so dass er während seiner Krankenhausaufenthalte und in seinem letzten Refugium eine wortwörtliche Version „letzter Hand“ erstellen konnte. Verena Nolte brachte im Auftrag seiner Nachlassverwalter dieses Manuskript nun in Form und bei Steidl wurde ein wie immer bei diesem Verlag ansprechendes Buch daraus.
Siegfried Kaden konnte erzählen wie kaum ein anderer. Und er scheute sich nicht, das Brutale und Obszöne genauso direkt zu schildern, wie die erfreulichen Seiten des Lebens. Zudem hatte er das Talent, die Szenen seines Lebens in abwechslungsreiche Bilder zur übersetzen, so dass der Betrachtende/Lesende beim Abgründigen staunen und beim Absurden laut auflachen kann. Im März 1944 geboren, wurde das Kleinkind von der Vernichtung seiner Geburtsstadt Dresden geprägt – oder vielleicht von der traumatisierten Erzählung der Überlebenden. Sein Vater stand als Druckereibesitzer nach dem Krieg im Fokus der Staatssicherheit und nutzte schließlich die erste Gelegenheit zur Flucht in den Westen mit der ganzen kleinen Familie. Der aufmüpfige Jugendliche musste dann die Tiefen des Internatslebens durchschreiten, ehe er sich die Ausbildung an den Akademien in Stuttgart und Wien erkämpfte. Seine Beobachtungen der Kunstszene der 60er und 70er Jahre, wie auch des Lebens allgemein in der alten BRD sind ein unterhaltsames Zeitdokument. Da er schon lange eine Affinität zum Spanischen hatte, übersiedelte der Künstler schließlich ziemlich spontan mit Anfang 50 nach Havanna. Ein unkonventionelles Leben wurde im sozialistischen Reglement noch unkonventioneller.
Das Buch bringt die Kugelschreiberzeichnungen nahezu wie Faksimiles, so dass man meint selbst durch das Zeichenbuch des Künstlers blättern zu dürfen. Kaden ist ein Meister der Linie und der Schraffuren, wobei immer wieder erste suchende Skizzen zu den entscheidenden Szenen, auf die er sein Leben konzentrierte, mit aufgenommen sind. Damit steigert sich die atemlose Authentizität des Lebens-Comics stärker im Vergleich mit dem perfekten Bilderbuch „Stille Tage in Havanna“, in dem Kaden 1999 erstmals von seinen Kuba-Erlebnissen erzählt hatte. Die Herausgeberin verstärkte diesen Eindruck dadurch, dass sie Rückseiten der Zeichnungen ebenfalls reproduzieren ließ, auf denen Kaden nicht nur die Texte zum Teil formulierte, sondern auch gelegentlich Notizen zu seinem Alltag. So bekommt dieser Lebensbericht einen subtilen Subtext der letzten Lebensmonate, was die Eindringlichkeit der Bilderzählung weiter intensiviert.
Wie und warum Kaden durch ein Pferd nach Kuba kam, wird aber hier nicht verraten.

07.07.2025
Andreas Strobl
Mit dem Pferd nach Havanna. Autobiografie in Zeichnungen und Texten. Kaden, Siegfried. Hrsg.: Nolte, Verena. 528 S. 21 x 29,7 cm. Steidl Verlag, Göttingen 2024. EUR 45,00.
ISBN 978-3-96999-274-6
 
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