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Digitale Bildkulturen

Die uns umgebende Flut von Bildern ist ein Phänomen der Moderne: fortschreitende Reproduktionstechnik hat im Verband mit kapitalistischen Mechanismen zur Vermarktung „visueller Produkte“ für deren Omnipräsenz gesorgt. Das war um 1900 nicht wesentlich anders als 2000 – nur haben sich die Rahmenbedingungen der Verbreitung durch die Digitalisierung weiter ausdifferenziert.
Seit sich die Kunstgeschichte zur Bildwissenschaft gewandelt hat, öffnet sie sich systematisch der Analyse sämtlicher visueller Medien, weit über den einstigen Kernbereich des gemalten Tafelbildes hinaus. Auch die 2018 gelaunchte Reihe „Digitale Bildkulturen“ ist ein Resultat dieser Entwicklung – wenngleich die vorliegenden Ergebnisse in ihrer gedruckten Form als kleine Büchlein noch ganz der analogen Welt zuzugehören scheinen (übrigens: sauber layoutet, solide hergestellt und vor allem: wunderbar proportioniert, bloß: a bisserl z`teuer, gell).
Angesichts des Einführungscharakters der Reihe wirkt die Aufmachung genau richtig: kompakt und konzis sind die Texte (die es natürlich auch „e“ gibt) und genauso ist es das Format. Die Studien lassen sich zügig und angenehm lesen, bringen dem unbedarften Leser das jeweilige Thema näher und warten für Fortgeschrittene mit manch bildwissenschaftlicher Volte auf. Kritisch sind alle der hier konsultierten Bände – jeder auf seine Weise – und die Reihe insgesamt profitiert von der Neugier am (vermeintlich oder wirklich) Neuen der Neuen Medien, das die Herausgeber Wolfgang Ullrich und Annekathrin Kohout umtreibt.
Stichprobenhaftes Kreuz-und-Quer-Lesen in wahllos ausgesuchten Bänden offenbarte mir eine sehr vielschichtige Interessenslage unter den Autoren, die alle „ästhetische, kulturelle und soziopolitische Zusammenhänge“ offenlegen, gemäß dem Programm der Herausgeber. Allerdings fällt auf, dass dabei der vielleicht zentralste Urgrund der digitalisierten Welt nicht benannt wird: die Ökonomie! In den meisten Bänden taucht sie aber natürlich dennoch auf. Nur „Filter“ spart sich die Einordnung in kapitalistische Marktmechanismen, obwohl diese kindischen Gadgets natürlich Mittel zum Zweck sind, User immer wieder neu und intensiv an die Mediennutzung zu binden, Klickzahlen, Daten und damit Kapital zu generieren. „TikTok“ erwähnt mehrfach den chinesischen Mutterkonzern hinter der Plattform, geht aber nicht so tief auf das Geschäftsmodell ein, wie es vielleicht notwendig gewesen wäre. Die im Text sehr gut herausgearbeitete „Unkontrollierbarkeit“ der Inhalte (aus Sicht des Users), die vor allem im Vergleich mit „durchschaubaren“ Kanälen wie Instagram und Twitter auffällt, umkreist das Problem aber trotzdem.
„Modebilder“ wiederum befasst sich ausführlich mit Geschlechterrollen und untersucht den geradezu betonharten Affirmationscharakter digitaler Bildmedien, die Resistenz im Hinblick auf gesellschaftliche Veränderung. Auch die Praxis der Bildagenturen, die uns unter dem Schlagwort „Stockfotografie“ mit vorgefertigten Bildchiffren versorgen, verhält sich rein bestätigend. Die Anbieter wollen etwas verkaufen, nicht die Welt verändern oder das Nachdenken über Dinge anregen. Der Hoffnung, in der Digitalisierung, ihren Medienarten und Verbreitungsformen läge „in sich“ ein subversiver, reformatorischer, gar revolutionärer Impetus, dessen Veränderungspotential nur fruchtbar gemacht werden müsste – solcher Illusion gibt man sich nach Lektüre der Texte jedenfalls nicht (mehr) hin. Eher scheint aus dieser Perspektive evident, dass der Anstoß zur Erneuerung von außen kommen muss, weil die Medien- und Marktmechanismen der Digitalkultur lediglich Vereinnahmung im Sinne einer „repressiven Toleranz“ plus Kapitalisierung hervorbringen. Diese soziologische Perspektive spielt denn in fast sämtlichen Bänden der Reihe eine Rolle. Das ist auch deshalb so wichtig, weil digitale Bildmedien in die gesellschaftliche Praxis ganzer Generationen eingebunden sind, über ihre Nutzung „Normen und Werte“ kommuniziert und definiert werden.
Im Band „Bildproteste“ wird gleichwohl deutlich, dass man digitale Medien in die eigene kritische Praxis einspannen kann, wenn man eben will. Nicht auf das Medium sondern auf die Interessen derer, die es nutzen, kommt es an – was freilich digitale von analogen Medien vor allem dann unterscheidet, wenn es an das „sharing“ des „contents“ per klick geht, das sich vom Plakate kleben und Briefe verschicken doch fundamental abhebt. Interessant ist die zentrale Schlussthese des Bandes, die von einer horizontalen, selbstreferentiellen Schwarmintelligenz spricht, welche eine Entstehung neuer, an charismatische Führungsfiguren gekoppelte Bildikonen ausschließe. Das hat mich, in Erinnerung an Greta Thunbergs FFF-Rolle als „lebendes Bild“, mit ihrer rätselhaft „offenen“ Wortbotschaft auf dem kleinen Pappschild, doch etwas verwundert.
Schließlich noch die „Meme“, die genauso wie das erfreulich positiv gehaltene „Selfies“ zeigen, dass man – entgegen einer lange gepflegten Attitüde des kulturellen Establishments – mit Neuen Medien eben doch kreativ sein und dabei Codes und Inszenierungsformen des analogen Zeitalters weitertreiben kann, genauso wie die Selbstreferentialität des digitalen Kosmos.
Ich komme zum Schluß. Wer Lust hat, die mediale Gegenwartskultur besser zu durchdringen ist bei den Digitalen Bildkulturen bestens aufgehoben. Und das gilt für zahlreiche Zielgruppen. Die Reihe taugt für Zuhause, für die Hochschule wie für die politische Bildung. Man kann sie sich gut als Unterrichtsmaterial an Oberstufen vorstellen, aber sogar auch als Diskussionsgrundlage in öffentlichen Debatten, in denen Laien und Experten zusammenkommen, um ihre virtuellen und wirklichen Erfahrungen abzugleichen. Gut geschrieben, klar erklärt, problembewußt formuliert und wenn auch nicht immer erschöpfend so doch immer anregend und erkenntniserweiternd sind die Bände, die ich mir angeschaut habe allesamt gewesen. Mehr Wirtschaft: wäre ein persönlicher Wunsch. Und mehr Themen, die zeigen, wie „Bildkulturen“ im digitalen Zeitalter in ein crossover der sinnlichen Reizung aus Bild, Text, Ton und vielem mehr eingebunden sind, vielleicht auch. Ansonsten: weiter so, Zwinkersmiley. Und ein Claim gibt`s gratis obendrauf:
„Digitale Bildkulturen: Die Buchreihe zur Wirklichkeit von heute!“

04.06.2024
Christian Welzbacher
Stockfotografie. Digitale Bildkulturen. Nolte, Thomas. 80 S. 14,6 x 9,3 cm. engl. Br. Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2024. EUR 12,00.
ISBN 978-3-8031-3741-8
 
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