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Die Linke und die Kunst.


Wer - vor gefühlt Generationen - das Glück, hatte an einer niedersächsischen linken Reformuniversität das Glück hatte im Fach Kunstgeschichte und der damals brandneuen Medienwissenschaft studieren zu können, mußte sich wie auch ich die Frage gefallen lassen, ob man denn schon den obligatorischen Kapital-Kurs und die Einführung in marxistische Ästhetik absolviert habe. Mir reichte es damals, dass ich im Selbststudium Benjamins Kunstwerk-Aufsatz entdeckte und aus dem Staunen nicht herausfand. Heutige Studierende haben es da vergleichsweise leichter. Man studiert etwa Jens Kastners 300seitiges Buch "Die Linke und die Kunst" und ist dann in relativ kurzer Zeit kompetent darüber aufgeklärt, wie sich die Beziehungen zwischen ideologischem Überbau ästhetisch reflektierten und ob sich die Widerspiegelungstheorie heute noch ernsthaft ins Feld führen lässt. Um es gleich direkt vorweg zu sagen: dieses Buch lohnt sich - auch und gerade in heutigen späten postmodernen Zeiten. Die von Kastner eingangs zitierte marxsche These "Der Kunstgegenstand - ebenso jedes andere Produkt - schafft ein kunstsinniges und schönheitsgenußfähiges Publikum." Eine wie der Autor vermerkt wichtigste Äußerung von Marx zur Kunst übe rhaupt. Kastners Buch - offenbar eine Publikation einer Reihe von 12 Vorlesungen zur linken Kunsttheorie mit Schwerpunkt auf Kunstsoziologie - gelingt das Kunststück, die Kunstinteressierten jeweils relativ pointiert in die Probleme und die Wissenschaftsgeschichte zentraler linker Kunsttheorie einzuführen. Ob es dabei um die hochgradig elaborierte ästhetische Theorie der Frankfurter Schule, die Situationistische Internationale um Guy Debord oder den beiden Superstars der französischen Philosophie der 70er und 80 Jahre - Michel Foucault und Pierre Bourdieu oder auch die speziellen "Theoriewaffen" eines Antonio Gramsci oder auch Franz Fanons geht: Kastners Überblicke zeichnet jeweils die roten Fäden ihrer AutorInnen, problematisiert deren belichtete oder unterbelichtete Stellen und wendet sich so an Lesende, die sich proaktiv an der Suche zwischen den stark divergierenden Theorieangeboten beteiligen und eine eigene Position verschaffen wollen. Nur am Rande tauchen leider linke KunstgeschichtsautorInnen wie beispielsweise Clement Greenberg, Lucy Lippard oder Linda Nochlin auf. Dass Kastner etwa die inzwischen wiederentdeckte Vorläuferin der Rezeptionsästhetik Hanna Deinhard oder die erste deutsche zur Kunstgeschichtsprofessorin in Deutschland berufene Jutta Held nicht erwähnt, ist bedauerlich. Kastners pointierte Schlussfolgerung am Ende seines Bandes ist typisch für die ebenso reflektierende und inspirierende Art seines Zugriffs: "Der Elitismus der Kunst ist nicht notwendigerweise Ausweis ihrer konservativen, bewahrenden gesellschaftlichen Funktion, ebenso wenig wie die Massentauglichkeit ein Kriterium für emanzipatorische Effekte ist." Dass der Autor gerade die auch von linken AutorInnen realisierte Kritik digitaler Bildkulturen nicht berücksichtigt, ist ihm nicht wirklich anzukreiden. Der Fokus linker kunstsoziologischer Kunsttheorie lag offenbar zu lang auf der historischen KUNST und nicht - wie aktuell zu beobachten - auf den neuen digitalen (und heute zunehmend a-sozialer werdenden) BILD-MEDIEN. Heute dominieren eher Fragen, die nicht mehr den Kunststatus von links befragen, sondern viel eher die Funktionsweisen und Effekte von auch kunstfremden Bildnutzungen betreffen, die heute Probleme von westlichem Kolonialismus, Moral und Geschlechteridentität etc. sichtbar machen.

04.06.2024
Michael Kröger
Die Linke und die Kunst. Ein Überblick. Kastner, Jens. 300 S. 21 x 14 cm.Unrast Verlag, Münster 2024. EUR 18,00.
ISBN 978-3-89771-271-3
 
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