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Alfred Kubin ein Klassiker

Alfred Kubin ist ein Klassiker der Kunst des 20. Jahrhunderts. Doch Monographien zu seinem Werk sind bei weitem nicht so dicht gesät wie bei anderen dieser Klassiker. Das vorliegende Buch erschien als Katalog zur ersten monographischen Ausstellung Kubins in den USA im Privatmuseum „Neue Galerie“ des New Yorker Sammlers deutscher und österreichischer Kunst, Ronald S. Lauder. Herausgeberin und Autorin eines fundierten einführenden Textes ist Annegret Hoberg, die an der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München auch das Kubin-Archiv leitet.

Dass sie das Jahr 1909 als Zäsur nimmt, mag überraschen, denn stilistisch ist schon in den davor liegenden Jahren ein Umbruch im Werk des Künstlers festzustellen. Die Befriedung – so Kubins eigene Darstellung – seines sexuellen Triebs im Eheleben ließ die Quelle seiner schwarz-weißen Phantasien ab 1904 versiegen. Experimente mit Farbe und neuen Techniken lassen den furiosen und bereits zu einiger Bekanntheit gekommenen Zeichner erneut als Suchenden erscheinen. 1906 wird ihm die Übersiedlung weg aus München ins abgelegene oberösterreichische Zwickledt zum Refugium. Mit der Publikation des Romans „Die andere Seite“ vor genau hundert Jahren, 1909, ist aber auch die Neuorientierung Kubins zur Bebilderung literarischer Werke – der Begriff Illustration klingt leider zu sehr nach Kunsthandwerk – besiegelt. Insofern steht das Jahr 1909 weniger für den Abschluss des Frühwerks, als für den Beginn des ‚literarischen’ Werks von Kubin. Mit dem Ausblick ins Jahr 1909 bietet das Buch also doch fast den ganzen Kubin.

Die Beiträge entfalten hierzu eine facettenreiche Folie. Der bereits angesprochenen, informativen Einleitung von Hoberg folgt ein Text des Direktors der Albertina in Wien, einer der bedeutendsten Kubin-Sammlungen, Klaus Albrecht Schröder, zur „Grausamkeit der Bilder“. Er begibt sich willig auf die Spuren, die Kubin selbst in seinen mehr oder weniger autobiographischen Texten ausgelegt hat, und bleibt zugleich an der Oberfläche des Werks. Peter Assmann, als Direktor der Oberösterreichischen Galerie in Linz, Herr über eine weitere bedeutende Kubin-Sammlung, die er schon mehrfach in Ausstellungen vorgestellt hat, verfolgt hingegen ernsthaft und für den Leser ergiebig eine Reihe von Bildquellen, die Kubins Phantasien speisten. Kubin war in einer Zeit, in der noch nicht zu fast jedem künstlerischen Werk innerhalb von Minuten in großer Vollständigkeit Abbildungen zur Verfügung standen, ein besessener Sammler und Kenner der Kunstgeschichte. Insbesondere die Kunst des ausgehenden 19. Jahrhundert, die wir heute als Nährboden der Moderne ansehen, studierte und sammelte er intensiv.
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Andreas Geyer, ein ausgewiesener Kubin-Forscher, bietet eine erhellenden Beitrag zum „Literaten“ Kubin, den man nicht vom bildenden Künstler trennen kann. Da Geyer sich nicht an die Grenze des Jahres 1909 hält, bekommt man einen guten Überblick. Kubin verstand sich zeitlebens ebenso als Schriftsteller wie als bildender Künstler. Dass er sogar literarische Größen wie Franz Kafka mit seinem phantastischen Roman „Die andere Seite“ anregen konnte, mag seine Bedeutung für die Literatur verdeutlichen. Der ehemalige Direktor der Hamburger Kunsthalle, Werner Hofmann, betrachtet „’Die andere Seite’ der Moderne“ bei Kubin und nimmt damit ebenfalls den Roman zum Fluchtpunkt seiner Überlegungen. Hofmann holt weit ins Kunsttheoretische – Lessing, Edmund Burke, Kant, Worringer – aus, um darauf zu verweisen, dass Kubin an dem Umbruch – Paradigmenwechsel nennt Hofmann es – zur Moderne, einer anarchischen Öffnung zum Zwielicht und den Träumen, beteiligt war. So muss man bis hierhin feststellen, dass die Beiträge immer wieder um die gleichen Aspekte des Werks kreisen und die Zusammenstellung der Autoren sich als nicht wirklich glücklich erweist. Vom abschließenden Essay, „’Staubdämonen’ Alfred Kubin zwischen Wiener Moderne und Konservativer Revolution“ von Olaf Peters, könnte man nun Überlegungen erwarten, welche Zeitgenossen Kubin angeregt hatten und wen er seinerseits anregte. Doch der überwiegend Bekanntes – und im Katalog auch anderweitig Angesprochenes – behandelnde Text, zielt vor allem auf den Kontakt von Kubin zu Ernst Jünger Ende der 1920er Jahre. Da wäre es – statt des redundanten Referates – ergiebiger gewesen, die provokante Frage zu stellen, wie sich der Österreicher Kubin während des Nationalsozialismus lavierend durch die Zeit brachte.

Kubin ist international bislang nicht sehr intensiv wahrgenommen worden. Wenn, dann wurde er in Übersichtsausstellungen zur Kunst um 1900, zum Traum und zum Unterbewussten in Kunst aufgenommen. 2007 gab es eine Ausstellung im Pariser Musée d'Art Moderne de la Ville de Paris und jetzt eben eine in New York. An diesem Stand änderte auch der 50. Jahrestag seines Todes 2009 nichts. Zu diesem Jahrestag erscheinen zwar Briefeditionen und eine neue Ausgabe seines Romans „Die andere Seite“ im Suhrkamp Verlag, aber keine umfassende Monographie. Mit dem New Yorker Katalog, der parallel in Englisch und Deutsch erschien, liegt immerhin wieder ein schöner Einblick in die zentralen Jahre von Kubins Schaffen vor, der mit einer beeindruckenden Auswahl der frühen, wichtigen Zeichnungen aufwarten kann. Die Abbildungen haben eine brillante Tiefe, lassen aber auf dem kalkweißen Papier leider die Sinnlichkeit der Zeichnungen vermissen. Die zahlreichen Fotos zur Biographie wirken daher intensiver als manche der Zeichnungen, von denen einige leider – wohl auf Grund mangelhafter Vorlagen – enttäuschend flau und unscharf reproduziert sind.
30. 10. 2009



Andreas Strobl
Alfred Kubin. Hrsg. v. Hoberg, Annegret. 212 S., 109 sw. Abb., 100 fb. Abb. 28,5 x 23,5 cm. Prestel, München 2009. Pb EUR 69,00
ISBN 978-3-7913-4118-7
 
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