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Krieg Medien Kunst |
Je weniger das Gedächtnis von innen her gelebt wird, desto mehr bedarf es äußerer Stützen“. Diesem von Pierre Nora formulierten Diktum versucht Isabell Schenk-Weininger in ihrer Dissertation in Bezug auf den medialisierten Krieg nachzuspüren. Ausgewählt wurden 25 deutsche Künstler, die, mit wenigen Ausnahmen, den Krieg im eigenen Land nicht mehr erlebt haben. Dabei legt sie den Fokus auf die '68er Generation, die sich mit der in Familie und Gesellschaft tabuisierten Vergangenheit und zeitgleich mit dem Vietnamkrieg auseinander gesetzt hat.
Die dem Titel immanente Abfolge - Krieg Medien Kunst - erläutert die Autorin folgendermaßen: Kriege gilt es, über die rein militärischen Ereignisse hinaus, als komplexen gesellschaftlichen Vorgang und Kommunikationsprozess aufzufassen (S. 11). Damit ist der erfahrungsgeschichtliche Ansatz der Arbeit markiert. Sie operiert mit einem breit angelegten Medienbegriff, der Erzählungen, Symbole, Institutionen, technische Medien usw. gleichermaßen integriert, um Einblicke in die Rezeption aller Gesellschaftsschichten zu erlangen, und um den Blick auf die „generelle Medialität unserer Weltzugänge“ (S. 12) zu lenken. Zugleich bilden die Medien die Gliederung der Arbeit, d.h., die einzelnen Künstler werden den Medien zugeordnet und nicht umgekehrt. Dadurch können die Werke unterschiedlicher Jahrzehnte nebeneinander stehen und verglichen werden. Dem hohen Reflexionsgrad von Kunstwerken ist der Rückgriff auf die Grundlagen der Rezeptionsästhetik geschuldet, sodass das jeweilige Verhältnis von Produzent, Werk und Rezipient hinterfragt wird. „Dass in den Kunstwerken neben der Kriegsthematik die Erinnerungs- und Vermittlungsmedien selbst meist mitverhandelt oder sogar in den Mittelpunkt des künstlerischen Interesses gerückt werden, ist so auffällig, dass die künstlerische Medienreflexion zum Ansatz dieser Untersuchung zur Kriegsthematik in der bildenden Kunst seit den 1960er Jahren erhoben wurde“ (S. 11).
Joseph Beuys notierte 1965 „dass Wahrheit nicht nur erfasst, sondern auch erzeugt wird“, wir es also mit mehreren Wirklichkeiten zu tun haben, das lässt die Autorin auf die Unterscheidung zwischen authentischen und ‚bloß vermittelten' Erfahrungen verzichten. Somit kann sie Künstler, die den Zweiten Weltkrieg als Kinder erlebt, aber ihre Erfahrung erst Jahre später visualisiert haben, in ihre Untersuchung integrieren. Aber ihren eigentlichen Fokus legt Schenk-Weininger weder auf die biografische noch auf die chronologische, sondern stringent auf die mediale Ausgestaltung.
Weil der imaginierte oder natürliche „Raum in der kollektiven und kulturellen Mnemotechnik – der ‚Erinnerungskultur’ - die Hauptrolle spielt“ (Jan Assmann) beginnt die Autorin ihre Abhandlung mit dem Kapitel ‚Topographie’. Es folgen prägnante Analysen, die jeweils mit und in heterogen konstruierten Räumen agieren, dem sich kritische Ausführungen über Denkmäler und Gedenkkultur anschließen. Doch ihr kritischer Diskurs mit der ortsspezifischen Denkmalhistorie sowie die Ausrichtung auf die Gegenwart und Zukunft - ein Aspekt, der allen angeführten Arbeiten eigen ist - lässt die vermeintliche Bruchstelle plausibel und legitim erscheinen. Die von Schenk-Weininger vorgenommene kontextbezogene Forschung über Gedenkjahre, -tage, staatliche Symbole, historisch belastete Symbole und Mythen, Bibliothek, Archiv, Museum, Fotografie, wird dankenswerter Weise von zahlreichen Werkbeispielen unterbrochen, die allesamt ‚Medien der Tradierung und Speicherung von Erinnerung’ (S.23ff.) darstellen. Interessant ist, dass die Autorin das Kapitel über die ‚Kriegsberichterstattungen in den Massenmedien’ (S. 118 ff.) wesentlich schlanker ausfallen läßt als das Vorangegangene. Das ist allerdings kein Nachteil, sondern eröffnet neue Sichtweisen, die in den Abschnitten über Werbung (S. 158ff.), wissenschaftliche Verfahren und Visualisierungsformen (S. 167ff.) sowie künstlerischen Strategien und ästhetische Erfahrungen (S. 241ff.) kompetent aufbereitet werden. Hervorzuheben ist die breit angelegte Ausrichtung der Untersuchung, die es abschließend durch zwei Werkbeispiele zu markieren gilt: "Wolf Vostell schlug Anfang der 1960er Jahre den Teilnehmern seines Happenings (Citiyrama) eine Begehung der noch von der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg gezeichneten Stadt Köln vor; Matthias Wähner dokumentierte (mit Warshots 3) die im Internet tobende inoffizielle Propagandaschlacht mit Flashmovies und Funny Songs während des Irakkrieges. Schauplätze waren beim einen Trümmergrundstücke, beim anderen der immaterielle Raum des Internets. Vorstell setzte auf körperliche Involvierung der Teilnehmer und eine Intensivierung der Ortserfahrung durch Handlungsanweisungen, Wähner auf ein dokumentarisches Aufzeigen nach dem Motto ‚Das gibt es also’. Ein größerer Kontrast ist kaum vorstellbar, sowohl was die thematisierte mediale Erfahrung von Krieg als auch die gewählte künstlerische Strategie betrifft“ (S. 323).
Dass dieser differenzierten Dissertation, die im Anhang mit biografischen Eckdaten samt Seitenverweisen und einer ausführlichen Bibliografie aufwartet, eine Ausstellung sowie ein Katalog folgte, markiert anschaulich die besondere Relevanz des Wechselwirkungen unterworfenen Themas Krieg Medien Kunst.
18.11.2005
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Martina Dlugaiczyk |
Schenk-Weininger, Isabell: Krieg Medien Kunst. Der medialisierte Krieg in der deutschen Kunst seit den 1960er Jahren. Hrsg.v. Institut für moderne Kunst Nürnberg. 360 S., 60 sw. Abb. 24 x 17 cm. Verlag für mod. Kunst, Nürnberg 2004. EUR 30,- |
ISBN 3-936711-36-4
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