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Brigitte Tast - Durch Schwarz und Weiß.

1985 führte Brigitte Tast ihre erste Diageschichte vor – eine Art Multi-Media-Performance, bei der Bild und Text zusammenkommen, bei der eigene Texte die eigenen Fotografien kommentieren. Ein ganz ungewöhnliches Genre, das nur wenige pflegen, aber eben sie: Brigitte Tast, 1948 geboren, bei Hildesheim lebend, eine Künstlerin, die über Dekaden ein Werk geschaffen hat, das einzigartig ist.

„Diese Eigenständigkeit, sich so ganz unabhängig vom Kunstgetriebe, von Galeristen, Museen oder selbst Verlegern mit ihren Projekten zu bewegen und zunächst auch gar nicht hinüberzuschielen, ob das, was sie tut, dort registriert wird, ist auffällig und ungewöhnlich“, urteilte einst Reinhold Mißelbeck – und blicken wir in ihr gerade erschienenen neues Buch, dann kann man ihm nur beipflichten.

Die Bücher von Brigitte Tast, die in den 1970er Jahren Grafik-Design an der Werkkunstschule Hildesheim (noch bei dem Bauhaus-Fotografen Umbo) und später auch an der Filmklasse der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig studiert hat, sind keine Hochglanz-Artefakte. Im Gegenteil: Sie haben den Charakter von einfach gestalteten Fototagebüchern.

Tast kommt aus einer anderen Zeit und die Konsequenz, mit der sie arbeitet, ist ungewöhnlich. Ihre Bilder, die allesamt analog im Mittelformat entstehen, sind ein Mittel, sich selbst nachzuspüren. Die Arbeit mit Spiegeln, das fotografische In-sich-Hineinschauen, auch die Arbeit mit Schauspielerinnen, mit Darstellerinnen, all das steht in der Tradition der Fotografie, der Fotoinszenierungen der 1970er Jahre – aber auch der Einfluss des Neuen Deutschen Films ist unverkennbar.

Gelegentlich macht sie Ausstellungen, in den letzten Jahren auch vermehrt in Italien, machte feministische Filmclub-Arbeit, gründete eine Filmzeitschrift, hatte einen Lehrauftrag für Fotografie – und alle paar Jahre erscheinen neue Fotobücher, die sie mit ihrem Mann Hans-Jürgen Tast herausgibt, zumeist im eigenen Kulleraugen-Verlag.

„Durch Schwarz und Weiß“, der neue Band, offenbart wiederum das so originäre filmisch-fotografische Sehen der Künstlerin. Sie zeigt uns Privates und Erdachtes, vermischt die Wirklichkeit mit der Fiktion, ihre Autobiografie mit einem Märchen. Es ist auch ein Tagebuch: Sie ist unterwegs, viele Fahrten durch den Sommer, mit dem 49-Euro-Ticket durch Deutschland. Orte, Begegnungen, eigene Veranstaltungen. Aber auch die Vergangenheit blitzt auf, ältere Arbeiten, Naturbetrachtungen, Tierbilder, Störche, Bahnhöfe, Erinnerungen, viele Aktfotografien, die Freunde und Freundinnen zeigen.

Der Band ist der dritte Teil einer Buch-Reihe über die Farben Weiß, Rot und Schwarz, was natürlich an die „Drei Farben“-Filmreihe von Krzysztof Kie?lowski denken lässt. Und die Künstlerin erklärt sich selbst direkt am Anfang in einem Zitat: „Denn mich reizt das Ungewisse. Mich reizt das Direkte, das Anstößige, das Maßlose, dieser Abstand zum Gewöhnlichen.“

Direktheit und gleichzeitig das Surreale, das Phantastische, das Unwirkliche, das Glück, die Liebe, der Abgrund, das Private, das auch das Öffentliche ist, die Sexualität. Die Messe in Hannover, das Storchendorf, die Abteile der Züge, die Blicke aus dem Fenster, die eigene Krankheit, das Schwarz, das Älterwerden, das Weiß, die Erinnerungen an früher.

Wer sich auf dieses direkte, auch visuell vollkommen unprätentiöse Werk einlässt, in dem sich so viele Zeitebenen mischen, das so ganz anders ist, als die vielen, vielen Fotobücher, die jeden Monat erscheinen, der wird reich belohnt. Man blickt zugeneigt, verwundert, überrascht, auf ein ungemein spannendes Leben eines anderen, fremden Menschen. Ein Leben, das dem Betrachter plötzlich ganz nah ist. Und so ist „Durch Schwarz und Weiß“ auch ein Buch über diese sonderbare Magie, die der Fotografie in ihren besten Momenten, manchmal, innewohnt.

02.02.2025
Marc Peschke
Durch Schwarz und Weiß. Tast, Brigitte. Tast, Hans-Jürgen. 480 S. sw. Abb.. 23 x 17,4 cm. Kulleraugen Verlag, Schellerten 2024. EUR 340. CHF 400
ISBN 978-3-88842-606-3
 
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