|
|
[zurück] |
Anna Lehmann-Brauns: Stages. |
Die ganze Welt ist eine Bühne. Zumindest für die 1967 geborene, in Berlin und Leipzig lebende Künstlerin Anna Lehmann-Brauns, die in ihrem fotografischen Werk seit so vielen Jahren immer neue Bühnen entdeckt und uns entdecken lässt. Ganz am Anfang (aber auch gelegentlich wieder in jüngster Zeit) baute sie ihre Bühnen noch selbst, schuf Puppenstuben, Interieurs, die sie dann fotografisch inszenierte. Und auch danach waren es Bühnen, Kulissen, „Stages“, die sie immer wieder anzogen. „Stages“ heißt nun auch ihr viertes Fotobuch, das uns, wieder einmal, fasziniert. Wir tauchen ein, in die Welt von Anna Lehmann-Brauns: in eine magische, gefährliche, süße, nostalgische, anziehende Welt.
Es sind ganz unterschiedliche Orte, die uns die ehemalige Meisterschülerin bei Joachim Brohm an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig zeigt. Sie fotografiert auf dem Bosporus aus einer Fähre, in alten Berliner Kneipen, von denen es immer weniger gibt, beim Trödler in Charlottenburg oder Verbania, aber auch in Gay Clubs in San Francisco, wo sie eine Zeit lang lebte. Rätselhafte Orte, in gewisser Weise auch romantische Orte, die ein starkes Sehnen nach einem „Anderen“ ausdrücken. Melancholie steckt in diesen Bildern, Wehmut. Es sind Bilder aus einem Zwischenreich. Nicht ganz Alltag, nicht ganz Märchen.
Wir spinnen die Bilder von Lehmann-Brauns gerne im Kopf weiter. Was ist hier geschehen, fragen wir uns. An diesen unwirklichen Orten, die uns die Künstlerin zeigt, fand früher Leben statt. All das, so scheint es, ist noch immer da, nur von Zeit verdeckt, unter einer Schicht aus Zeit. Die Schönheit ist auch noch da, in all ihrer Vergänglichkeit. Doch kein Mensch ist mehr hier. Aber gerade war doch noch jemand da!? Matthias Harder führt es in seinem Buchbeitrag aus: Stets sind die „Stages“ menschenleer, doch ist der Mensch gerade in seiner Abwesenheit präsent. Filmisch muten viele der Fotografien an. Es gibt auch eine Werkreihe der Telenovela-Filmsets, die in den Studios der Ufa aufgenommen wurde.
Wir müssen sprechen von dieser Farbigkeit, denn sie ist von ganz besonderer Sorte: Hier leuchtet alles. Hier strebt alles zum Glanz, zum effektvollen Helldunkel, aber auch, gelegentlich, beinahe zum Schrillen. Harder weist in seinem Beitrag zu Recht darauf hin, dass diese Bilder auch in einer langen Tradition US-amerikanischer Farbfotografie und Filmkunst stehen. Die Bilder der Trödelläden, die vor allem in Berlin und Leipzig entstanden sind, aber auch die Bars und Theater, die uns Anna Lehmann-Brauns zeigt, sie präsentieren eine Welt, in der die Zeit still zu stehen scheint.
Immer entdecken wir Patina in den Dingen. In der Patina steckt die Schönheit, sagen die Bilder von Anna Lehmann-Brauns. Und so faszinieren all diese Orte auch durch die Jahre, die an ihnen nicht spurlos vorüber gezogen sind. Sie sind in Würde gealtert, so wie der Swimming Pool am Lago Maggiore in der Nebensaison oder wie die Fähre auf dem Bosporus. Und die Dinge strahlen noch, strahlen immer weiter, strahlen und leuchten: „In der Metamorphose des Alltäglichen zu etwas Besonderem spielt das Licht eine zentrale Rolle – die Farben scheinen aus sich heraus zu leuchten“, schreibt Barbara Esch Marowski in ihrem Buchbeitrag.
Von diesem Leuchten, von dieser Sinnlichkeit der Farben bekommen wir nie zu viel. Man blättert von Seite zu Seite in diesem Buch, betrachtet diese Bühnen, diese Träume, die ja doch auch Realität sind und daraus ihre Spannung ziehen. Die Welt ist eine Bühne. Die Welt ist voller Erzählungen. Anna Lehmann-Brauns ist eine Geschichtenerzählerin, der wir gerne, immer wieder so gerne lauschen.
03.01.2025 |
Marc Peschke |
Anna Lehmann-Brauns | Stages. Esch Marowski, Barbara; Harder, Matthias. Englisch; Deutsch. 120 S. 33 x 28 cm. Hartmann Books, Stuttgart 2024. EUR 40,00. |
ISBN 978-3-96070-112-5
|
|
|
|
|
|