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Herbert List

Der Fotograf Herbert List hatte keinen Stil – er hatte eine Haltung. Immer wieder setzte der Autodidakt neu an, konzipierte in den 1930er Jahren Milieufotografien der Berliner Bohème, arbeitete sich in den 1940er Jahren an der Antike ab, schwenkte in den 1950er Jahren auf Sozialreportagen und Künstlerporträts um. Dass er sich dabei jeweils einordnete – in eine Zeittendenz, in eine Strömung, in eine Gruppe – fällt deutlich auf. Dass er dabei aber immer herausfiel auch. Strömungen und Gruppen gehört List zeitlebens nicht an. Und durch seine Haltung, seine ganz besondere, individuelle Sichtweise, sticht er eben immer wieder heraus. Diese Haltung liegt in der feinsinnigen Ironie, die er allem, was er durch das Kameraauge sieht, beimißt. Sei es der elegante Rücken einer antiken Statue. Sei es die Parallele zwischen Hundepfoten und Menschenfüßen. Seien es merkwürdige Objektkombinationen à la Surrealismus.

Nun ist es nicht leicht, im Rahmen einer Monographie eine solche Haltung angemessen zu würdigen. Denn man muß sie, um sie zu verstehen, ins Verhältnis setzen – und das ist eigentlich das Gegenteil von einem „monographischen“ Konzept. Den Herausgebern des vorliegenden Fotobandes gelingt allerdings der Spagat, indem sie Lists Werk in Phasen und Aspekte zergliedern – und jedem Abschnitt dann einen entsprechenden Aufsatz voranstellen, der die notwendige Kontextualisierung leistet. Bernhard Maaz schreibt über die Griechenlandphantasien. Esther Ruelfs über die Männerphantasien. Katrin Dyballa über die Sozialphantasien. Kathrin Baustark über die Künstlerphantasien.

Zur Phantasie wird in Lists magischem Auge jeder Gegenstand: die Dinge werden entrückt, die Bilder bekommen einen Eigenwert abseits des vermeintlichen photographischen Realismus. List ist unter den Meistern des 20. Jahrhundert der vielleicht am wenigsten „wahrhaftige“. In keinem anderen Werk erscheint die „Lüge“ der Photographie (die anderswo ja immer geleugnet wird), will sagen: die mediale Eigendynamik dieser Kunstform, so klar herausgearbeitet. In diesem Sinne gehört Lists Werk zum Faszinierendsten, was die Photographie der Modere zu bieten hat. Und man kann froh sein, dass die Retrospektive des Bucerius Kunstforums auch nach Ende der Ausstellungszeit in Form des vorliegenden Katalogbuchs weiter erlebbar bleibt. Ein gelungener Band, drucktechnisch hochwertig aufbereitet, sauber durchkonzipiert.

24.03.2024
Christian Welzbacher
Herbert List. Das Magische Auge. Hrsg.: Baumstark, Kathrin; Pohlmann, Ulrich. Deutsch. 2022. 288 S. 318 fb. Abb. 28 x 22,5 cm. Hirmer Verlag, München 2022. EUR 45,00. CHF 54,90
ISBN 978-3-7774-3907-5
 
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