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Anne Schönharting |
Im Berliner Haus am Kleistpark war bis vor kurzem die Ausstellung „Habitat Berlin Charlottenburg“ von Anne Schönharting zu sehen, ab dem 8. Februar wandert sie in die Villa Oppenheim nach Charlottenburg selbst. Wer nicht die Möglichkeit hat, die Schau zu besuchen, dem ist nun die Möglichkeit gegeben, sich mit einem von Stefan Stefanescu vollendet gestalteten, geprägten Halbleinenband in die sehenswerte Welt des Berliner Kulturbürgertums zu beamen.
Nach Bildserien über das koloniale Erbe ihrer Familie, über Nomaden in Kirgisien und indische Stadtutopien, nach einer Modekampagne für den römischen Luxus-Schneider Brioni oder eine Bildserie über die Stadt Belfast zeigt die 1973 in Meißen geborene Fotografin nun Wohnungen in Charlottenburg – künstlerische Dokumentarfotografie, Architekturbild und Sozialstudie gleichermaßen.
Die für die Agentur Ostkreuz arbeitende Künstlerin, die als Gastprofessorin an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel lehrt, begann 2012, Menschen in ihrem Habitat zu fotografieren, in großen Wohnungen in einem jener Viertel Berlins, das seltener im Fokus der Fotografie steht. Fein komponiert zeigen sie vor allem Räume, deren Mondänität man gemeinhin nicht mit Berlin verbindet. Der Kunstsinn der Bewohner und Bewohnerinnen, ihr Stil und Geschmack, das Licht, das aus ihren großen Gründerzeit-Fenstern in die ärmliche Hauptstadt strahlt (nicht weit von hier liegt der Bahnhof Zoo) – das alles hat die Fotografin als eine „Reise in eine fremde Welt“ beschrieben.
Inka Schube führt in ihrem Textbeitrag aus, dass diese Interieurs von der „Sesshaftigkeit und vom langen hiesigen Frieden handeln, von Privilegien und der Frage nach ihrem Verhältnis zu Verantwortung und Gemeinwohl.“ Und tatsächlich: Charlottenburg im Berliner Westen ist schon lange ein Ort der Privilegien, des alten Geldes, der Berliner Bourgeoisie.
Beinahe wie historische Porträts oder Altmeistergemälde wirken manche der Fotografien, doch auch spürt man eine leise Ironie in den Bildern, einen surrealen, skurrilen Gestus auch. Was sind die Codes dieser Klasse, dieses Milieus? Das ist gar nicht so einfach zu beantworten: Möbelklassiker etwa von Le Corbusier natürlich, viel Midcentury, Antiquitäten auch, viele Bücher, viel zeitgenössische Kunst. Mal originell, immer zumindest stilsicher. Viele der Besitzer dieser Gründerzeitetagen mit Marmor-Entrees, Stuckdecken, holzgetäfelten Wänden, feinen Teppichen, Vintage-Möbeln und historischem Fischgrät-Parkett sind Sammler und Bewahrer, sind Literaten und Künstler, Designer und Intellektuelle.
Es sind bekannte Persönlichkeiten darunter, wie etwa die Malerin Elvira Bach, der Bühnen- und Kostümbildner Bernd Skodzig mit seinem Wolfshund Peggy, Joachim Sartorius, der Lyriker und ehemalige Chef der Berliner Festspiele oder die Kunstsammler Loretta Würtenberger und Daniel Tümpel, die Schönharting zusammen mit ihrer Tochter im Gegenlicht vor einem großen Altbaufenster aufgenommen hat.
Sie alle leben unterschiedlich, doch allen sind ihre großen Wohnungen ein intimer Rückzugsort, der in einem krassen Widerspruch zum öffentlichen Berlin steht. Das Private wird hier öffentlich, aber natürlich nur in dem Maße, in dem die Protagonisten dies auch möchten. Und so wird die Wohnung zu einer Bühne, auf der ein recht privates Stück gegeben wird. Die Protagonisten dieses Stücks, das ist eine großstädtische Bohème, die es in dieser Form kaum noch gibt. In diesem überaus schönen Buch kann man sie betrachten – in zum Teil wirklich umwerfend stilbewussten Architektur-Interieurs.
16.01.2023
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Marc Peschke |
Anne Schönharting | Habitat. Berlin-Charlottenburg. Schönharting, Anne. Beitr.: Schube, Inka. Deutsch; Englisch. 2022. 160 S. 35,5 x 27,5 cm. Hartmann Books, Stuttgart 2022. EUR 68,00. |
ISBN 978-3-96070-091-3
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