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Anne Heinlein: Geheimes Land

Was ist die Wahrheit?

Die DDR war ein Land der Sperrgebiete. Zwölf Prozent der Deutschen Demokratischen Republik waren Sperrgebiete – so steht es geschrieben, ganz vorne im Buch „Geheimes Land“ von Anne Heinlein, die in der DDR aufgewachsen ist. Diese Sperrgebiete sehen heute auf fast schon auffällige Weise harmlos aus: ein Kiefernwald in der Lieberoser Heide etwa, 2018 fotografiert.
In der Edition Fotohof in Salzburg ist nun dieses Buch erschienen, das sich mit dieser sehr speziellen Geschichte der DDR auseinandersetzt. Es ist als Nachfolger eines 2017 herausgekommenen Buchs über Wüstungen zu verstehen, das Heinlein zusammen mit Göran Gnaudschun erarbeitet hat. Der neue Band „Geheimes Land“ nimmt nun militärische Sperrgebiete auf ähnliche Weise in den Fokus.
Einschusslöcher und Kiefernwälder, ein Körper voller Blut, eigenes, neues fotografiertes Material und solches aus dem Bundesarchiv für Stasi-Unterlagen. Bilder aus verschiedenen Dekaden, Schwarzweiß und Farbe, Grafiken und Zeichnungen, ehemals geheime Berichte aus dem Bundesarchiv für Stasi-Unterlagen über Unfälle und Fahnenfluchten, die sich hier zu einem rätselhaften Opus verbinden, das die Künstlerin so beschreibt: „Es geht um Formen der Erinnerung, um die Suche nach Wahrheit“, sagt Anne Heinlein.
Die 1974 in Bad Saarow in der DDR geborene Schriftstellerin und Übersetzerin Julia Schoch betont in ihrem Buchtext, dass sich Geschichte nicht einfangen lässt, doch, fragen wir uns, wäre das nicht hier die Aufgabe der Fotografie? Das geheime Land, das Heinlein uns zeigt, Gestrüpp und Unterholz, Reproduktionen aus schulischem Soldatenlehrmaterial zu Kriegs- und Kampfstrategien, Propagandamaterial des Ministerium für Staatssicherheit: Dieses Land bleibt in diesem Werk Andeutung, ein tiefdunkler Schatten. Menschen und Schicksale werden nicht verortet, nicht eindeutig rekonstruiert. Zeiten und Orte vermischen sich, auch wenn Quellenverweise am Ende des Bandes auf den Ursprung der Bilder und Materialien verweisen.
Doch ist diese Strategie vielleicht sogar die einzige, die Sinn macht? Patronenhülsen, ein Laubwald, ein Wandbild und noch einmal Patronenhu?lsen. Ein Wald in der Döberitzer Heide, eine Gasmaske, fotografiert in Wu?nsdorf im Jahr 2019. Was ist hier passiert? Was ist die Wahrheit? Fragt die 1977 in Potsdam geborene Künstlerin, die ab 2000 künstlerische Photographie an der Hochschule für Graphik und Buchkunst Leipzig bei Prof. Timm Rautert und Prof. Joachim Brohm studiert hat.
In seinem Text „Versperrte Räume, verborgenes Land“ erläutert Peter Ulrich Weiss vom Leibniz-Zentrum für zeithistorische Forschung in Potsdam den historischen Kontext, doch bleiben wir beim Durchblättern des virtuos gestalteten Buchs ratlos. Die DDR, sie ist noch heute „Geheimes Land“, ist Sperrgebiet. Dies zeigt Anne Heinlein auf vollendete, erschütternde Weise.

3.1.2023
Marc Peschke
Geheimes Land. Heinlein, Anne. Fotografin Heinlein, Anne; Beitr.: Schoch, Julia; Weiss, Peter. Deutsch; Englisch. 128 S. 42 SW- und 30 fb. Abb. 25,5 x 19,3 cm. Edition Fotohof, Salzburg 2022. EUR 30,00.
ISBN 978-3-903334-38-0
 
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