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Claus Stolz – Kammerspiel |
Das zweckfreie Spiel des Denkens
Ein neues Fotobuch von Claus Stolz
Wir erinnern uns noch gut an seine 2009 als Buch erschienene Serie der „Sunburns“: Für diese hat der 1963 geborene Mannheimer Fotokünstlers Claus Stolz Sonnenstrahlen bei weit geöffneter Blende direkt in das Objektiv fallen lassen. Mal nur wenige Sekunden, aber auch länger, bis hin zu Stunden. Das Ergebnis war von verblüffender Schönheit. Es waren Sinnbilder dafür, wie der zerstörerische Lichteinfall Wundervolles generiert, wie aus Zerstörung phantastische Abstraktion und Schönheit erwächst.
Phantastische Abstraktion und Schönheit umgarnt uns erneut, wenn wir in dem Band von Stolz blättern, der nun, 13 Jahre später, wiederum im Kehrer-Verlag erschienen ist. Auch hier sehen wir keine schlichten Abbilder der Dinge. Stattdessen ist der Künstler auch diesmal an einer betont artifiziellen Darstellung interessiert.
Seine neuen Arrangements gleichen einem Kammerspiel in diesem Sinn: Es ist ein Schauspiel in einem betont intimen Rahmen, so wie es August Strindberg für das Theater definiert hat. Und wirkt es nicht so, dass all diese wundersamen Dinge in leuchtenden Farben, Kunstpflanzen, Knetfiguren, zerknülltes Papier, Obst, Tischtennisbälle oder ein Stück Draht, ein Stück für uns Betrachter aufführen?
Die fotografierten Arrangements sind mal aufwändiger, dann ganz einfach gehalten. Mal sind sie undurchdringlich wie ein Dschungel, dann aufgeräumt und klar. Mal lösen sich die Dinge in einem Farbrausch auf, dann zeigt sie Stolz ganz nüchtern in Schwarzweiß. Mal wirken die Dinge albern wie etwa das Handy aus Ton mit Katzenohren, dann ganz ernst und versonnen – an die Endlichkeit erinnernd. Der Fotograf stellt in dieser neuen Serie keine festen Regeln auf. Er lässt sich treiben, muss sich nicht entscheiden. Die Lilien sind aus Silikon. Sind die Orchideen echt? Und die Strelitzien? Was macht den Unterschied?
Es gibt keinen. Die Frage nach der Echtheit und der Künstlichkeit scheint uns irgendwie ziemlich last century beim Betrachten dieses Buchs. Es ist ein Spiel, sagt Stolz selbst. Ein Spiel in einer dunklen fotografischen Kammer, könnte man anfügen. Ein Spiel, das den Homo ludens in uns anspricht, den Überschreiter der Grenzen der äußeren Welt.
Bekanntermaßen hat Johan Huizinga in seinem Buch „Homo ludens“ das Spiel als kulturbildend herausgearbeitet: keine Kultur ohne Spiel. Und man darf sich von der Zweckfreiheit dieser Bilder verzaubern lassen, vielleicht gerade in härteren Zeiten wie diesen. Der spielende, der experimentierende Mensch, in diesem Fall der Fotograf, ist sich selbst genug. Jeder erinnert sich noch an die eigenen Kinderspiele – das selbstvergessene Tun über Stunden. Auch daran erinnert diese Serie, dieses eher schmale, schöne, verträumte Buch. Schillers Diktum, der Mensch sei nur da ganz Mensch, wo er spielt, diese Idee, die später durch Herbert Marcuse ins Kapitalismuskritische weiterentwickelt wurde, hat noch heute Relevanz.
Beim Blättern in „Kammerspiel“ fällt auch auf: Wir wissen zu keinem Zeitpunkt, was uns auf der nächsten Seite begegnen wird. Diese Fotografien brechen mit Erwartungen, sind überraschend, formen sich dennoch zu einem poetischen, absurden Miteinander aus echtem und künstlichem Leben. Die Kunstgeschichte kennt ähnliche Ideen, man denke etwa an Man Ray, Salvador Dali, Marcel Duchamp, Maurice Henry oder Meret Oppenheim.
Vor einigen Jahren war in der Frankfurter Schirn eine Ausstellung mit dem Titel „Surreale Dinge“ zu sehen. Alltägliches veränderten die Künstler der surrealistischen Bewegung – oft nur in Details – und stellten damit den ganzen Sinn in Frage. Der neue Sinn war oft keiner – Unsinniges, Groteskes, Absurdes zeigte die Ausstellung. Das „zweckfreie Spiel des Denkens“, wie es Breton 1924 im ersten surrealistischen Manifest formuliert hat, das zeigt uns nun, noch einmal, nicht minder überraschend, Claus Stolz in „Kammerspiel“.
17.12.2022 |
Marc Peschke |
Claus Stolz. Kammerspiel. Stolz, Claus. Beitr.: Pachl, Pamela. 80 S. 30 x 24 cm. Englisch; Deutsch. Kehrer Verlag, Heidelberg. 2022. EUR 35,00. |
ISBN 978-3-96900-088-5
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