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Nsenene |
Je heller das Licht
„Nsenene” von Michele Sibiloni
Schon 2016 machte der italienische Fotograf Michele Sibiloni mit seinem Buch „Fuck it“ auf sich aufmerksam. Seine Fotografien aus Kampalas heruntergekommenen Bar-Viertel Kabalagala zeigten schöne Gräuel, Ausschweifung und Hoffnungslosigkeit – ein überwältigendes Bilderbuch. Nun legt Sibiloni mit „Nsenene“ nach: ein Buch über die Heuschreckenjagd in Uganda.
Riesige Schwärme von Insekten fallen nach der Regenzeit im Land und in ganz Ostafrika ein. Sie sind Fluch und Segen. Fressen die Ernte. Fressen Felder und Weiden kahl. Doch dienen sie auch als Lebensmittel und werden von der Bevölkerung gefangen und verkauft. Was andere Fotografen nüchtern und aus der Distanz darstellen würden, ist für Sibloni ein Spektakel, in das er sich mit seiner Kamera stürzt.
Diese nächtliche Jagd auf die grünen Laubheuschrecken, auf die „Nsenene“, fotografiert in den Jahren 2014 bis 2019, zeigt er als kaltgrünes Inferno, illuminiert von Millionen schimmernder Heuschrecken: entrückte Bilder, die von den Techniken der Jagd berichten, aber auch von den Perspektiven der Tiere als Nahrungsquelle der Zukunft, von den Aspekten des Klimawandels, die in das Thema hineinspielen.
Der 1981 geborene Fotograf – der in Italien und Uganda lebt und etwa für die New York Times, Vice und Wired arbeitet – präsentiert die Jagd nach Heuschrecken mit Fässern, Netzen, Leinensäcken, Blechen, Scheinwerfer, Glühbirnen und rauchenden Leuchtfeuern als düsteres, kinematografisches Ereignis, das in der Tradition des Landes fußt. Schon Kinder lernen in Uganda, wie man Insekten fängt. Heute sind Insekten eine große Hoffnung der Welternährungsorganisation und gelten als Heilsbringer innovativer Ernährungskonzepte.
Je heller das Licht, desto stärker die Anziehungskraft – so funktioniert die Heuschreckenjagd in einem der ärmsten Länder der Welt. Doch die Heuschrecken kommen nicht mehr so regelmäßig wie früher. Als Folge des Klimawandels sind die Regenzeiten unregelmäßig geworden.
Das jetzt in der Edition Patrick Frey erschienene Buch versammelt auch englischsprachige Texte von Bobi Wine, Katende Kamadi und Francis Sengendo, die das Thema gesellschaftlich, künstlerisch und insektenkundlich einordnen. Vor allem der Beitrag von Robert Kyagulanyi Ssentamu alias Bobi Wine ist lesenswert, ein Popstar in Uganda, der sein erstes Geld mit der Jagd auf Nsenene verdient hat und damit auch die Produktion seiner ersten Single bezahlte.
„Nsenene“ ist ein sehr spezielles, sehr originelles, wunderbar von Nicolas Polli gestaltetes Fotokunstbuch. Schon der glänzende, dunkelgrüne Umschlag fällt ins Auge. Der Band erzählt in giftgrünen, expressionistischen Bildern von der archaisch anmutenden Jagd auf Heuschrecken. Überall sind sie – ein Alptraum vielleicht für den westlichen Betrachter, doch in jedem Fall ein markanter visueller Standpunkt, der im Gedächtnis bleiben wird.
Eher dokumentarische Bilder treffen hier auf Bewegungsunschärfe, Lichtblitze auf Details, welche die hektische Jagd illustrieren. Die Jäger und Jägerinnen zeigt Sibiloni auch: übersät von Heuschrecken, die in Schwärmen kommen, Millionen von ihnen – und den Himmel verdunkeln. Jeden Tag fressen sie ihr ganzes Körpergewicht. Eine schon im 2. Buch Mose beschriebene Plage, Eiweißbomben für die Zukunft der Menschheit, die seit 2017 in der Schweiz offiziell als Lebensmittel zugelassen sind.
16.11.2021 |
Marc Peschke |
Nsenene. Sibiloni, Michele. 144 S., 70 Abb. 31 x 23 cm. Gb. Englisch. Edition Patrick Frey, Zürich 2021. EUR 52,00 EUR, CHF 52,00 |
ISBN 978-3-907236-13-0
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