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Lars Eidinger â Autistic Disco |
Es ist eine kalte, nicht bitterkalte Januarnacht. Heute ist es soweit, heute wird fĂŒr mich aus dem begnadeten Richard III.-Schauspieler Lars Eidinger ein DJ. Zur âAutistic Discoâ drĂ€ngt sich das Publikum in die Paloma Bar in Berlin-Kreuzberg. Es sind noch knapp zwei Monate bis das Corona-Virus die Clubs der Hauptstadt erreicht â in dieser Nacht feiert man noch ausgelassen zum buntgemischten DJ-Set des Schauspielers. Meine sachkundige Begleitung kommentiert die Titelauswahl mit Kritik, egal â die Neugierde hat uns hergebracht und irgendwie wird es doch ein mitreiĂender Tanzabend. Nach seinem Auftritt zappelt der Plattenkönig noch selbst ein paar Minuten in der schwofenden Menge, ein wenig als kĂ€me er zurĂŒck in die RealitĂ€t. Diszipliniert oder mĂŒde verlĂ€sst er wenig spĂ€ter die TanzflĂ€che. Wer kann es ihm verdenken, bei dem vollen Terminkalender. Und war das nicht auch die Party zur ersten, von Eidinger designten Tasche, der LE1, die inspiriert ist von GĂŒnter Fruhtrunks fĂŒr Aldi gestalteten EinkaufstĂŒte?
Im Corona-Sommer 2020 war es etwas dann ruhiger geworden. Doch nun ist Eidinger in seiner OmniprĂ€senz als BĂŒhnen-, Film- und Fernsehschauspieler zurĂŒck, ob als gestörter Unternehmer-Sohn Alfred Nyssen in âBerlin Babylonâ, den Kinofilmen âPersischstundenâ und âSchwesterleinâ oder der TV-Adaption âGottâ von Ferdinand von Schirachs gleichnamigen TheaterstĂŒck (alle 2020). Kaum ein Tag, an dem nicht irgendeine Meldung erscheint.
Und nun das erste Buch: Das ebenfalls âAutistic Discoâ benannte Buch ist diesen Herbst im Hatje Cantz Verlag erschienen. Es ist (noch) nicht die Autobiografie des Schauspielers, sondern eine Auswahl seiner Fotografien. Ist das NeongrĂŒn des Vorsatzpapiers erst ĂŒberwunden, lĂ€sst sich ein klassisches Fotobuch entdecken: Auf das zweisprachige Vorwort von Simon StrauĂ folgt eine reine und in weiten Teilen hervorragend komponierte Bildstrecke â ob Eidinger selbst oder die Mitarbeiter des Verlags dies arrangiert haben, der Bildlauf macht Freude zu blĂ€ttern. Unkommentiert und lediglich mit einer Seitenzahl am unteren Seitenrand sowie seltenen Vakatseiten wirken die Aufnahmen fĂŒr sich selbst. Am Buchende spiegelt die Doppelseite âHotelzimmerâ (S. 124/125 â hier ânurâ vor dem zu Bett gehen, auf Instagram immer im Vergleich) die vielen Reisen des KĂŒnstlers. Der Band schlieĂt mit einer Auflistung, in welchen StĂ€dten und in welchem Jahr die Aufnahmen entstanden sind. Wer Lust hat, kann mitraten, wo die Aufnahmen gemacht worden sind: Ein von Beton umgossener, eingezĂ€unter, abgesĂ€gter Baumstumpf (S. 46) oder ein mit unzĂ€hligen Warnpfeilern umstandener LĂŒftungsschacht (S. 118) deuten auf eine landestypische UnĂ€sthetik hin, die Auflösung ĂŒberrascht kaum.
Wer dem Schauspieler auf Instagram folgt, erkennt vielleicht das ein oder andere dort bereits gepostete Motiv (inzwischen sind es 2.839 Posts!) wieder. Doch nicht erst fĂŒr das Buch hat Eidinger eine Auswahl getroffen: Bereits im Sommer 2019 war eine Auswahl seiner Fotografien im Neuer Aachener Kunstverein zu sehen. Die âMarke Eidingerâ spart auch hier keine Gelegenheit zum Verkauf aus: AbzĂŒge der Aufnahmen sind selbstverstĂ€ndlich zu erwerben â inzwischen hat er mit Nils MĂŒller, GrĂŒnder von Ruttkowski;68, auch einen Galeristen. Doch zurĂŒck zum Fotobuch, das keines Schutzumschlags bedarf und in grauem Leineneinband daherkommt: WĂ€hrend die DJ-Sets viel Kritik auf sich gezogen haben, ist der 44-JĂ€hrige ein talentierter, mal melancholischer, mal ironischer Beobachter unserer Welt. Das Fotobuch lĂ€dt dazu ein, dem aufmerksamen Blick dieses Beobachters zu folgen.
18.12.2020
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Gloria Köpnick |
Lars Eidinger. Autistic Disco. Beitr.: StrauĂ, Simon. 128 S. 80 Abb. 24 x 17 cm. Englisch; Deutsch. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2020. EUR 30,00. CHF 34,50 |
ISBN 978-3-7757-4781-3
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