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Rasende Reporter – Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus |
Man muss schon sagen: Geschickt hat es der Darmstädter Primus-Verlag verstanden, den eigentlichen, tatsächlichen Schwerpunkt von Anton Holzers „Kulturgeschichte des Fotojournalismus“ mit dem zugkräftigen Titel „Rasende Reporter“ in einen weiteren, einen Unter-Untertitel zu verpacken. Dort nämlich, jenseits der bibliographischen Angaben, aber auch jenseits der verlagseigenen Vorschau, offenbart sich wahrheitsgemäß, worum es im vorliegenden Band geht: „Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890-1945“.
Warum muss man das so verstecken?
Damit, wie auch der Rezensent, die Käufer auf den großspurigen, Internationalität suggerierenden Titel des Schutzumschlags (von Österreich keine Spur!) reinfallen?
Sei’s es wie’s ist: das Ganze ist jedenfalls so auffällig (und hat bei mir eine derartige Irritation ausgelöst), dass es in dieser Besprechung ganz am Anfang stehen muß.
Daher: Bundesdeutsche Leser, Aufgemerkt. Dies ist ein Buch ĂĽber Ă–sterreich.
Bespricht man das Buch aus österreichischer Perspektive (ja mei, was soll ich sonst anfangen), so entpuppt sich Holzers üppiger, üppig bebildeter Band schnell als großangelegtes Standardwerk. In dreißig essayistischen Kapiteln entfaltet der Autor ein Panorama der österreichischen illustrierten Presse, zeigt uns, wie – meist von der Zeitungsstadt Wien aus – sich zunächst die Doppelmonarchie, dann die Republik in ihren Bildern sah und sehen wollte und vor allem: wer die Kräfte hinter diesen Bildern waren.
Holzer verhandelt den komplexen Stoff über fast 50 Jahre hinweg vorbildlich, indem er die Bilder und ihre Verwendung konsequent hinterfragt. Wie verändert sich die Presselandschaft durch die Einführung der Fotografie als Leitmedium nach 1900? Wer sind die Fotografen, was zeichnet sie aus, wie arbeiten sie? Wie sind die neuartigen Bildseiten aufgebaut (Holzer nutzt das bildwissenschaftliche Vokabular von der „visuellen Rhetorik“ – macht also den Lesern klar, dass mit Bildern argumentiert (und nicht verziert) wird)? Welches sind die Themen? Wie wird etwa der wissenschaftliche Fortschritt abgebildet? Oder der Krieg 1914-18? Oder der politische Umbruch nach 1918? Und der nach 1934, als Österreich zum faschistischen „Ständestaat“ wurde? Und der nach 1938, als es zum „Anschluß“ kam? Welche Rolle spielten Mode und Sport, welche Erotik und Sexualität? Hatte die Bildästhetik der illustrierten Zeitschriften eine Auswirkung auf die Verbreitung eines neuen Frauentypus? Schließlich: Gibt es schichtenspezifische Bildstrategien (am Beispiel der Arbeiterpresse)? Und: Was geschieht, wenn Bilder zur Ware werden, mit denen Agenturen handeln?
Holzer gelingt es, Fotografie einerseits als Medium moderner Kunst anschaulich zu beschreiben, ohne diesen Aspekt (der in Form von Vintage Prints längst Kunstmarktrelevant geworden ist) über zu betonen. Denn andererseits zeigt er, dass nicht die Kunst, sondern der Gebrauch der Fotos immer im Vordergrund gestanden hat, Fotografie also, aus Sicht der Presse eher ein Kunsthandwerk war. Eine ausgewogene Einbettung des Mediums Fotografie gelingt Holzer auch deshalb, weil er ein weites Spektrum der Methoden und Perspektiven entwickelt, um seinen Gegenstand zu zerlegen. Von der Medien- und Bildgeschichte, über die Zeitungsgeschichte und Publizistik, die Kunst- und Technikgeschichte, das graphische Design, hin zu Soziologie und Politik.
Und!!! – Transaustria obacht! – Holzer hat den internationalen Blick, indem er die österreichischen Geschehnisse an das rückbindet, was in Europa, vor allem im Deutschen Reich geschah. Das liegt auch daher nahe, weil es zwischen Berlin und Wien immer einen regen Austausch gab, nicht nur Personal, sondern auch an Ideen. Insofern: Ja, das Buch erscheint durch seinen Hauptschwerpunkt auf Österreich aus bundesdeutscher Sicht marginal. Und dennoch Vorsicht. Denn das Buch zeigt eben auch, wie man einen – durch den Fokus Österreich nicht minder faszinierenden – Gegenstand vorbildlich abhandeln kann, sodass das Werk insgesamt auch jenseits der Grenzen hohe Anerkennung finden kann – und sollte! Daher: Glückwunsch.
30.11.2014 |
Christian Welzbacher |
Rasende Reporter. Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. Holzer, Anton. 496 S., 530 Abb. 29 x 22 cm. Gb. Primus Verlag, Darmstadt 2014. EUR 48,00 CHF 63,90 |
ISBN 978-3-86312-073-3
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