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Wozu Bilder? – Gebrauchsweisen der Fotografie |
Intelligent und sympathisch – dies sind, aus Sicht des Rezensenten, die Hauptmerkmale der Publikation „Wozu Bilder?“, die eine gleichnamige Ausstellung begleitet, die nach ihrer Station in der Esslinger Villa Merkel ab Dezember 2014 in der Kunstsammlung Jena gezeigt wird.
Zunächst: Intelligent. Weil die Herausgeber ein Defizit im Umgang mit Bildern, vor allem Fotografien entdeckt und daraus den Schluß gezogen haben, dass man sich dem Material grundsätzlich anders nähern muß, als bisher. Nicht Rechtfertigung der Fotografie als Kunstform steht daher im Mittelpunkt der Argumentation von „Wozu Bilder?“. Im Gegenteil, der Angriff auf diese nachgeholte Legitimierung (speziell durch die Kunstgeschichte), wird in der Einleitung direkt formuliert. Es geht im vorliegenden Band um die Frage: Wozu wurden die hier versammelten Bilder produziert, d.h., welche gesellschaftlichen, individuellen, politischen usf. Bedürfnisse spiegeln sie – und zwar im Ganzen, wie auch im Detail. Dazu haben die Herausgeber das Material nach bestimmten Kategorien gebündelt, jedes der acht daraus entstandenen Kapitel mit einer knappen Einleitung versehen und die darauf folgende Bildstrecke durch vertiefende Erläuterungen und Erklärungen strukturiert.
So sehen wir beispielsweise „Bilder von Menschen“. Das sind Atelierfotos des späten 19. Jahrhunderts, und die mehreren Dutzend, die hier vor dem Auge des Lesers ausgebreitet werden, zeigen: all diese Aufnahmen sind austauschbar. Aus der Summe der Teile auf das Gesamte zu schließen und daraus Schlüsse abzuleiten, versucht der zugehörige Kommentar. Er verweist auf den raschen Aufstieg der Fotografie zum gesellschaftlichen Leitmedium des 19. Jahrhundert. Vergleichsweise billig (zumal im Vergleich mit dem gemalten Abbild, das sich zuvor nur eine reiche Minderheit leisten konnte) spiegeln sich in der Fotografie die Individuen massenhaft – das Phänomen der Moderne schlechthin, das uns heute auf Schritt und Tritt begleitet und in Form solcher Bilder zurückschaut.
Wir sehen aber auch „Bilder der Welt“ oder „Bilder der Natur“ und werden Zeuge, wie sich die Wissenschaft dem Medium Fotografie annahm, um neue Formen des Kartographierens, Dokumentierens, aber auch des Archivierens zu entwickeln (wodurch dann bald auch Bilder von Bildern entstehen sollten). Dann zeigt man uns „Bilder von Dingen und Räumen“, erneut ein faszinierendes Panorama der Gesellschaft, diesmal in Form von Möbelkatalogen und Wohnungsinterieurs, die als Zeichen des sozialen Status abgelichtet wurden: Man tauschte, so ist zu lernen, im 19. Jahrhundert, derartige Raumansichten gegenseitig aus.
Dann gibt es „Bilder von Gedanken“, in denen die Fotografie zum Spiegel der Seele wird, durch Doppelbelichtungen, Verzerrungen und Tricks, wie sie später durch die Surrealisten zur Kunst werden sollten. Das letzte Kapitel zeigt wieder die dokumentarische Kraft der seriellen Fotografie. Es geht um „Bilder der Zeit“, am Beispiel der Vollendung des Kölner Doms, dessen majestätische Doppelturmfront bis 1880 in die Höhe wuchs, begleitet von einer Vielzahl von Fotografien, die, aneinandergereiht, tatsächlich als Abbild – aber auch als Sinnbild – der Zeit wirken.
Intelligent also ist diese Publikation, weil man vieles über die Gebrauchsweisen von Fotografien lernt, was bisher durch eine allzu künstlich-künstlerisch-kunstgeschichtliche Sichtweise verdeckt war. Aber sie ist eben auch sympathisch. Denn das hier vorgestellte Material – der Fundus einer nicht näher spezifizierten (und damit geradezu sagenumwobenen) Privatsammlung – wurde von den drei Herausgebern in zwei Studentenseminaren an der Universität Konstanz erarbeitet, das Projekt bis hin zu Ausstellung und Katalog ist eines auf das nicht nur die Experten, sondern vor allem auch die Studenten stolz sein können. Dass das Buch selbst eine gute Druckqualität, ein feinsinniges Layout und eine solide Bindung aufweist, zeichnet die Sache weiter aus. Intelligent und sympathisch – lehrreich für die Macher und für die Leser. Eine in jeder Hinsicht gelungene Publikation.
13.08.2014
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Christian Welzbacher |
Wozu Bilder? Gebrauchsweisen der Fotografie. Kat. Villa Merkel, Esslingen . Herausgegeben von Baur, Andreas; Hrsg.: Stiegler, Bernd; Thürlemann, Felix; Text von Studierende Projektseminar Universiät Konstanz; Stiegler, Bernd; Thürmlemann, Felix. 304 S. 250 fb. Abb. 25 x 24 cm. Gb. Snoeck Verlag, Köln 2014 EUR 29,80. CHF 40,90 |
ISBN 978-3-86442-076-4
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