|
|
[zurück] |
Bild und Mythos |
Mit Bild und Mythos legte Luca Giuliani, Professor für Klassische Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, in gewohnt geistreicher Weise eine Analyse griechischer Vasenbilder vor, die als Standardwerk zum Verständnis griechischer Vasenmalerei zwischen dem 8. und 2. Jahrhundert v. Chr. im Charakter einer umfassenden Schule des Sehens bezeichnet werden kann. Beim Sehen handelt es sich nach Giuliani um eine "kulturell vermittelte Kompetenz", die gelernt und gepflegt werden sollte, der aber in unserer Kultur merkwürdigerweise "kein nennenswerter Stellenwert zugebilligt" wird. Unter der kundigen Führung des Autors können wir den Blick des griechischen Malers auf Alltag und Mythos nachvollziehen. Während die Vasenmalerei des 8. Jh. v. Chr. nur situative Bildthemen, d.h. "deskriptive Darstellungen von Standardsituationen" (ein Zweikampf etwa) kennt, beginnen die Maler des 7. Jhs., Bilder mit "narrativer Bedeutung" zu malen, bei denen aus einem anonymen Zweikampf mit Hilfe von Namensbeischriften etwa der Kampf zwischen Achill und Hektor wird. Während die linear verlaufende mündliche (Oralitur) oder schriftliche Erzählung (Literatur) Hörer bzw. Leser durch die Geschichte leitet, kann das Bild dem Betrachter nicht so ohne weiteres vorschreiben, wie es gelesen werden will. Seit dem späten 6. Jh. v. Chr. entwickelten die Maler daher verschiedene Strategien, wie sie den Betrachter durch das Bild lenken: durch die Charakterisierung der Hauptdarsteller, durch die Bildung von Sequenzen oder durch den Wechsel der Erzählperspektive. Bis zum Ende des 5. Jhs. v. Chr. hatten die Maler dabei keine Literatur, sondern ausschließlich Oralitur zur Verfügung, d.h. sie hörten die Geschichten (Theaterstücke, epische Dichtung etc.), bevor sie sie ins Bild setzten, sie lasen sie nicht. Als die Nachfrage nach bemalten Gefäßen zurückging, verschwanden in der 2. Hälfte des 5. Jh. v. Chr. narrative Szenen auf Vasen, bis sie im 4. Jh. fast völlig ausgestorben waren. Zeitgleich entwickelte sich in den griechischen Gesellschaften die Kultur des (Selbst-)Lesens in Ablösung zur Oralitur, der gehörten Literatur, und das Bild wurde vom Buch abgelöst, bis es im 2. Jh. v. Chr. zur bloßen Illustration geworden war.
|
Daniela Ziegler |
Giuliani, Luca: Bild und Mythos. Geschichte der Bilderzählung in der griechischen Kunst. 380 S., 60 Abb., Ln, C.H. Beck, München 2003. EUR 34,90 |
ISBN 3-406-50999-1
[C. H. Beck]
|
|
|
|
|
|