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Venezianische Malerei des 15. Jahrhunderts

Otto Pächt (1902-1988) war einer der wichtigsten Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts. Er beschäftigte sich vor allem mit der Malerei und Skulptur des 15. und 16. Jahrhunderts in Nordeuropa. Im Unterschied zu vielen seiner Kollegen war er sowohl an der Universität wie am Museum tätig, zwischen 1941 und 1963 inventarisierte er – als Jude von den Nationalsozialisten zur Emigration gezwungen – die mittelalterlichen Handschriften der Bodleian Library in Oxford, ab 1969 leitete er die Edition von Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. Ziel seiner Kunstgeschichte war nach eigener Aussage, „verstehend sehen“ zu können, zu erfassen, welchen besonderen Umgang der Künstler mit Gestaltungsproblemen gefunden hat. Die Texte Otto Pächts zeichnen sich dementsprechend durch eindringliche, anschauliche Analysen der Kunstwerke aus. Sie sind indes keine sprachlichen Nachschöpfungen, sondern zielen stets auf einen Erkenntnisgewinn, etwa vor welcher historischen Aufgabe der Künstler stand. Als „Schule des Sehens“ sind seine Bücher treffend charakterisiert worden, sie machen den Leser „optisch mündig“.
Eine besondere Qualität hatten offenbar die Vorlesungen Otto Pächts an der Universität Wien, wo er 1963 bis 1972 als Ordinarius lehrte. Druckreif vorbereitet kursierten sie lange Jahre lediglich als maschinenschriftliche Vervielfältigung, bis sich der Prestel-Verlag in der Person seines Sohnes Michael Pächt dazu entschloss, sie nach und nach als Bücher erscheinen zu lassen. Sie auch noch posthum zu publizieren, gehört gewiss zu einer der glücklichsten verlegerischen Entscheidungen überhaupt, seine Werke zur „Buchmalerei des Mittelalters“ (1984) und zur Altniederländischen Malerei (1989 und 1994) gehören mit zum besten, was man zu diesen Themen lesen kann. Jetzt endlich, rechtzeitig zum hundertsten Geburtstag, liegt auch seine Vorlesung von 1967/68 über die „Venezianische Malerei des 15. Jahrhunderts“ vor. Wie alle anderen Bände der Reihe ist auch dieses Buch wunderschön geworden, sorgfältig ediert und mit Abbildungen von stupender Qualität ausgestattet. Die vier Blöcke mit Farbabbildungen wird man sicherlich immer wieder gerne eigens betrachten wollen, in den Text sind die Darstellungen der Kunstwerke, wenn sie Erwähnung finden, zudem als schwarz-weiß-Abbildung einmontiert, so dass der Lesefluss ungehemmt bleibt. Der Text selbst wirkt ganz frisch, obwohl er doch knapp vierzig Jahre alt ist und die neuere Forschungsliteratur manche Probleme anders sieht. Aber die Beschreibungen, etwa die Farbanalysen oder die Fragen nach den Kompositionsprinzipien der Bilder und Zeichnungen, sind zeitlos. Sie werden unmittelbar, nicht zuletzt weil sie stets auf Beobachtungen vor den Kunstwerken selbst, also den Originalen, gründen.

Die Eigenheit der venezianischen Kunst wird mit dem Buch, das in chronologischer Folge die Werke Jacopo Bellinis, Andrea Mantegnas und Gentile sowie schließlich Giovanni Bellinis in den Blick nimmt, weniger in Fragen der Auftraggeberschaft, des historischen Kontextes, der Funktion oder des Ausstattungszusammenhanges beleuchtet. Es sind vielmehr die Kunstwerke selbst, die hier zum Sprechen gebracht werden. Dass dabei, wenn nötig, historische Quellen angeführt werden, versteht sich bei einem so souveränen Kunsthistoriker wie Otto Pächt von selbst: Zentral wichtig war etwa jene Diskussion von 1457, bei der anlässlich von Zahlungsstreitigkeiten der persönliche Anteil Andrea Mantegnas an den Fresken der Ovetarikapelle in Padua geklärt werden musste. Ein als Gutachter bestellter Maler sagte dazu, „dass er zwar nicht gesehen habe, wie die Fresken gemalt wurden, er aber auf Grund der langen Erfahrung, die er in der Kunst der Malerei besitze, erkenne, dass bestimmte Gemälde von der Hand Andrea Mantegnas seien. Denn unter Malern erkenne man immer, von wessen Hand irgendein Gemälde sei, insbesondere, wenn es sich um die Hand eines berühmten Malers handele.“ Die Brisanz dieses Urheberrechtstreites, bei dem eine Zuschreibung durch den Augenschein eines Experten geklärt werden konnte, hat Pächt erkannt und sie dementsprechend gewürdigt – 1982 hat Martin Warnke dieser hier erstmals schriftlich fassbaren, gleichsam kunsthistorischen Erfassung des Individualstils übrigens einen faszinierenden Aufsatz gewidmet (wiederabgedruckt in Martin Warnke, Nah und Fern zum Bilde. Beiträge zu Kunst und Kunstheorie, Köln [DuMont] 1997, ISBN 3-701-4298-5).

Die eigentliche, bleibende Qualität des Buches machen die eindringlichen Bildanalysen aus, die das Kunstwerk sprachlich verdichten und stets ein bildkünstlerisches Phänomen vor allem im Vergleich zu gleichzeitigen oder früheren Werken fokussieren. Anlässlich einer Landschaftsdarstellung des Jacopo Bellini schreibt Pächt beispielsweise, dass es sich hier um die „erste ebene und doch in die Tiefe sich erstreckende Landschaft handelt, keine Landschaftstapete mehr, die über steil ansteigendes Terrain den Blick zum oberen Bildrand führt, als Klettertour empor zur Bildhöhe.“ Gerade den Sprachkünstler im Umgang mit visuellen Phänomenen kann man hier erfassen – und dabei erfährt man zugleich alles Wissenswerte über die venezianische Malerei des 15. Jahrhunderts. Dem Prestel-Verlag und den Herausgebern darf man zum Buch gratulieren und darüber hinaus sich wünschen, dass noch weitere Vorlesungen Otto Pächts veröffentlicht werden. Erhalten haben sich etwa Manuskripte zur Kunst des Mittelalters, zu Giotto und zu Dürer.

Alexander Markschies
Pächt, Otto: Venezianische Malerei des 15. Jahrhunderts. Venedig. Die Bellinis und Mantegna. 320 S., 280 Abb., dav. 42 fb. 28 cm. Gb. Prestel, München 2002. EUR 59,-
ISBN 3-7913-2810-7
 
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