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Liebessemantik |
"Was wäre die Literatur bzw. die Kunst ohne Liebe und was wäre die Liebe ohne Kunst und Literatur?" Denn "die Liebe ist grundsätzlich an Darstellung gebunden", und sie "ist für das christliche Abendland grundlegend." Besonders reich an literarischen und bildkünstlerischen Repräsentationen ist die Frühe Neuzeit, von etwa 1500 bis 1800, in Italien und Frankreich. Um diese Länder und diesen Zeitraum geht es im vorliegenden Sammelband, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, "die diskursiven Voraussetzungen zu beschreiben, die historischen Prämissen der Konzepte offenzulegen und die für die Frühe Neuzeit prägnanten Repräsentationen von Liebe in Text und Bild zu interpretieren, sowie sie typologisch nachzuzeichnen."
15 Autorinnen und Autoren untersuchen in "einer Disziplinen übergreifenden Zusammenarbeit von Romanistik, Komparatistik, Kunstgeschichte und Philosophie", unter bewusstem Nichtberücksichtigen der modernen Möglichkeiten von Psychologie und Psychoanalyse die Vielfalt der Liebe und ihr Begreifen. An Texten von Montaigne, Ficino, Boccaccio, Moliére, Petrarca, Dante, Perrault oder Crébillon u.a. und an Bildern von Leonardo, Watteau, Caravaggio, Poussin, Giotto, Tizian, Fragonard, Michelangelo, Tiepolo u. v. m. analysieren sie die Darstellungen "als Ausdruck eines hierarchischen Gefüges", das zwar auf "unterschiedlichen Traditionen" fußt, aber immer die ´himmlische´ Liebe, d.h. die Liebe zu Gott und die Liebe Gottes als höchst mögliche begreift" In diesem Zeitraum wird das Verständnis von Liebe und ihre Gestaltung in Bild und Text bestimmt durch die von Augustinus maßgeblich geprägte caritas ordinata (= die traditionelle Ordnung der Liebe), durch die soziale und juristische Praxis des oikos (= das ´ganze Haus´) und durch die medizinische Vorstellung der Humoralpathologie."
Dem einführenden Beitrag der Herausgeberin über die Lehre von den Bedeutungen der Liebe und mit einem zusammenfassenden Überblick über die weiteren Untersuchungsbereiche folgen im 1. Teil drei Studien über die "Grundlagen kultureller Modellierung von Liebe": über das "Verhältnis von Liebe und Haltung im Sinne der caritas ordinata; über die "Vorstellung des Eros" in der literarischen Gestaltung des Liebesobjektes durch die Kraft der Vorstellung, sowie über die "poetologische und ästhetische Dimension der Darstellung von Liebe."
Teil 2 befasst sich mit "Fiktionalisierungen christlicher Liebeskonzepte im Sinne der caritas ordinata." Es geht um das Spannungs-Verhältnis zwischen erotischer Liebe und gesellschaftlicher Praxis",um ´Seelenliebe´, eine Liebe, die "in der Erkenntnis Gottes aufgeht," und um die ´Kytherische Liebe´; die "Liebe als Glücksfall" im Diesseits, die von Francesco Colonna in seinem Roman ´Hypnerotomachia Poliphili´ "auf die Insel Kythera projizierte Vorstellung einer gegenseitigen Liebe, die ein irdisches Glück in Aussicht stellt."
Weitere Beiträge untersuchen die Liebe als "innovativen Gestaltungsbereich" bei den Themen ´Fleischeslust´ und ´Verführung´, die "in den Künsten zum Gegenstand widerstreitender Narrationen und ambivalenter Darstellungen wird." Es geht um "Repräsentationen von Liebe als Legitimationsstrategie von königlichen Mätressen (Marquise de Pompadour und Comtesse du Barry) und um ´gleichgeschlechtliche Liebe´ und ´Sodomie´ in der sozialen wie künstlerischen Praxis.
Die letzte Gruppe der Beiträge untersucht den "Zusammenhang von Liehe und Kunst als Liebeskünste auf einer poetologischen, ästhetischen, supplementgenerierenden … idealisierten Ebene." Dabei geht es um "das wechselseitige Verhältnis von Bildreflexion, Erkenntnis- und Dichtungstheorie", sowie um die semantische Vielfalt von Liebe "als kunsttheoretische Reflexionsfigur" und um die "Punktion des Porträts", seine "zeremonielle" und seine "Memorialfunktion". Eine Analyse der höfischen Liebe, "die kulturhistorische Substanz der ´Galanten Liebe´ schließt den Band ab.
Dies Sammelwerk ist das "Ergebnis einer langjährigen Zusammenarbeit" im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten wissenschaftlichen Netzwerkes zum Thema "Liebessemantik" über die "Lehre von den Bedeutungen der Liebe."
Der umfangreiche, gewichtige Band ist ein fundamentales wissenschaftliches Werk über einen faszinierenden, sehr komplexen, geradezu überwältigend vielfältigen Themenbereich, systematisch und umfassend bearbeitet, einschließlich letzter Forschungsergebnisse, mit einer größtmöglichen Pulle von detaillierten Anmerkungen, Quellen- und Literaturhinweisen in Fußnoten, die nicht selten eine halbe Seite und mehr einnehmen, aber in ihrer anspruchsvollen, manchmal, auch umständlichen Diktion keine leichte Lektüre.
24.08.2016 |
Christa Chatrath |
Liebessemantik. Frühneuzeitliche Repräsentationen von Liebe in Italien und Frankreich. Hrsg.: Dickhaut, Kirsten. culturae (5). 803 S. 109 meist fb. Abb. , 2 Karte(n). 24 x 17 cm. Gb. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2015. EUR 128,00. |
ISBN 978-3-447-06565-8
[Harrassowitz Verlag]
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