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Abgerissen! – Vom Anhalter Bahnhof bis zum Palast der Republik

Wer kennt noch das Domkandidatenstift/Predigerseminar (1859) nahe dem Schloß Monbijou (1709)? Zwei von sechzig hier vorgestellten, architektonisch mehr oder weniger markanten Bauten. Abgerissen, verschwunden beide. Doch anders als Titel und Untertitel vermuten lassen finden sich in diesem Buch auch nach 1945 lediglich veränderte, umgebaute oder ergänzte Gebäude.
Und damit ein subjektiv ausgewähltes Spektrum öffentlicher und privater Bauten, Wohnviertel, Industriegebäude, Bahnhöfe, Kirchen/Synagogen, Museen, Kaufhäuser, Einkaufszentren, Schlösser, Sportanlagen, Hotels, Denkmäler. In ihre Zeit eingebunden, versehen mit jeweils detaillierten Objektbeschreibungen in kunsthistorischen Termini und so im sprachlichen Spagat zu ihrer gleichzeitig publikumsfreundlicher und gelegentlich launig vermittelten Bau- und Nutzungsgeschichte. Doch beides immer geprägt vom Engagement des Verfassers für sein Thema, städtebauliche Veränderungen, Fehlstellen.

Bei der Lektüre fallen schnell ost-westliche Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten beim Umgang mit unliebsam gewordener Bausubstanz auf. Da sind zuerst die sektorengrenzenübergreifenden tabula-rasa-Aktionen von Sprengungen und Abrissen in deren Hochzeit zwischen 1955 und 1965. So werden, zwei besonders markante Beispiele, 1960/61 im Osten Schinkels Bauakademie (1835), im Westen das Völkerkundemuseum (1886) abgerissen. Daß hier eine Bürgerinitiative den Abriß des nur wenig entfernten Gropius-Baues verhindern konnte ist eines der wenigen Beispiele erfolgreicher Proteste von auch Architekten, Kunsthistorikern und Denkmalschützern in diesem Buch. Die galten schon ebenfalls vergeblich dem 1950 gesprengten Berliner Stadtschloß und dem an dessen Stelle (1973) erbauten zwischen 2006 und 2008 abgerissenen Palast der Republik, dem heutigen Humboldt-Forum im Stadtschloß (im Bau seit 2013).

Dominieren bis 1990 im Berliner Osten oft verschämt verbrämte politisch-ideologische Motive beim Umgang mit städtebaulicher Substanz, so im Westen der Stadt letztlich immer wieder ökonomische Gründe. Im wiedervereinten Berlin wird das 1995 unter Denkmalschutz gestellte Ost-Berliner Ahornblatt Ulrich Müthers (1970) verkauft und 2000 abgerissen. Daß ein architektonisch-zeittypisches Gebäude jedoch nicht immer abgerissen werden muß um es verschwinden zu lassen, zeigt die fassadenveränderte und erweiterte heutige Galeria Kaufhof des ehemaligen Centrum Warenhauses am Alexanderplatz (1967-1970; 2004/5). Und wenn auf den beiden letzten Seiten dieses Buches Bau und Abriß des gerade dreißig Jahre alten postmodernistisch beispielhaften Grundkreditbank-Gebäudes im Berliner Westen dokumentiert sind, so werden Pragmatiker dies als Bestätigung für die übliche Halbwertzeit von Bürogebäuden in Großstädten verstehen.

Beispiele aus einem Buch über architektonische Stadtwanderungen der anderen Art. Ein Buch, das sich als Stadtführer zu verlorenen Berliner Bauten empfiehlt und so immer auch Geschichts- und Lesebuch ist. Und ein Buch über die beiden viel zu häufigen Sieger städtebaulicher Gestaltung, Ideologie und Kapital.

04.12.2019
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Abgerissen!. Vom Anhalter Bahnhof bis zum Palast der Republik: Verschwundene Bauwerke in Berlin. Cobbers, Arnt. 112 S. 134 meist fb. Abb. 24 x 17 cm. Pb. Jaron Verlag, Berlin 2019. EUR 14,00.
ISBN 978-3-89773-865-2
 
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