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Handbuch zur Islamischen Archäologie und Kunstgeschichte |
Was muß, was kann eine Publikation der Gattung „Handbuch“ leisten? Reicht es, alles Wissen über einen Gegenstand zusammenzutragen, gleichsam als literarische Speerspitze des Positivismus? Oder sollten sich Handbücher kritisch zum ausgebreiteten Wissensstand verhalten, etwa der Frage nachgehen, wie dieser eigentlich zustande kam, wie er – inhaltlich, institutionell, personell, ökonomisch, politisch – strukturiert ist, um auf Defizite, blinde Flecke, Fehlleistungen hinzuweisen? Das hier zu besprechende Handbuch unterläuft beide Ansprüche. Es ist ein Liebhaberstück, gekleidet in viele, bisweilen überflüssige Worte.
Reiner Sörries – evangelischer Theologe, Spezialist für Sepulkralkultur, langjähriger Professor für christliche Archäologie – führt in der Einleitung seines Werkes als Motivation, sich mit dem Islam auseinanderzusetzen, die Anschläge vom 11. September 2001 an. Im echten, wissenschaftlichen Ernst? Das „Abendland“ befindet sich seit rund 1300 Jahren in einer intensiven Auseinandersetzung mit dem „Morgenland“, im Guten wie im Schlechten. Und da wacht ein Professor aus Erlangen eines schönen Septembertages auf und entdeckt ein Thema? Na dann: Guten Morgen.
Dass er in seinem Handbuch das „exotische“ Sujet knallhart aus europäischer Sicht bespricht, die Perspektive der islamischen Welt selbst mithin vollkommen unterrepräsentiert erscheint – nunja, vielleicht ein Sprachenproblem. Ich will an dieser Stelle auch nicht die „postkoloniale“ Karte zücken. Denn es ist völlig in der Ordnung, wie Sörries seinen einseitigen Blick offenlegt: Dem Leser bleibt immer klar, daß er nur ein Teilbild vermittelt bekommt – wenngleich er halt nicht ahnen kann, was fehlt.
Sörries Gegenstand ist auch nicht eigentlich der Islam. Es ist die kunsthistorisch-archäologische Wissenschaft vom Islam, wie sie von Europa aus betrieben wurde. Aber da findet sich schon die nächste Einschränkung. Es kommen fast keine französischen, spanischen, russischen, englischen, italienischen Islamforscher vor – es bleiben vor allem die deutschen. Und die kommen in ihrem Philanthropismus und ihrer Islamfreundlichkeit, ihrer Weltgewandtheit und ihrem forscherischen Interesse so dermaßen gut weg, daß man sich mit Blick auf die Realitäten fragt, ob dieses Handbuch ein Traumbuch ist.
Zwei Beispiele: Im Zusammenhang mit dem Berliner Museumsleiter Wilhelm Bode kein Wort über die Entstehung des Kunstmarktfeldes „Islam“, mithin der Nutzbarmachung legal (und auch illegal – Kunstraubdebatte!) beschaffter Artefakte der islamischen Welt für die bürgerliche Repräsentation oder über die Kanonisierung durch das Museum und ihre Auswirkung auf die islamische Kunstgeschichte. Max Oppenheim wiederum, Bankier und Archäologe, wird als Privatsammler mit Hang zu Kostümparties gewürdigt, dessen Berliner Tell-Hafaf-Museum im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs unterging. Ja. Auch! Aber wäre es nicht wichtiger gewesen, ein Wort zu Oppenheims im Ersten Weltkrieg mit kaiserlicher Billigung gehecktem Plan zu verlieren, die Araber gegen die Briten zum Dschihad anzustacheln, um das in den französischen Schützengräben verreckte Kampfgeschehen durch eine morgenländische Front von hinten aufzurollen? In solchen Ideen zeigte sich dann doch vielleicht auch eine gewisse Kontinuitätslinie zu dem für Professor Sörries vermeintlich so inspirierenden „9/11“ auf. Sörries ist hier so fahrlässig ignorant, daß man nur von einer Falschdarstellung sprechen kann – und das betrifft die Tatsachen wie die längst geleistete Forschung.
Statt in kritischem Sinne die ein oder andere nüchterne Bemerkung zum zeitgenössischen Austausch zwischen Abend- und Morgenland zu verlieren (Öl, Geopolitik, Rüstung, Terror, islamistische Ideologie, Krieg, Flüchtlinge, Unternehmensbeteiligungen, Fußballclubs, Immobilien, Drogen) gibt uns Professor Sörries abschließend Tipps, die man aus umgekehrter Perspektive („See Europe in three days“) skandalös nennen würde. 10 Bücher, die man gekauft, 10 Museen, in deren Shops man Postkarten erstanden, 10 Orte, die man durchhechelt haben sollte – um all die feuilletonistisch gepflegten Klischees über das Morgenland zu bestätigen. Damit hat sich das Buch endgültig selbst entwertet.
06.05.2019 |
Christian Welzbacher |
Sörries, Reiner. Handbuch zur Islamischen Archäologie und Kunstgeschichte. 768 S. 425 fb. Abb. 24 x 17 cm. L. Reichert Verlag, Wiesbaden 2019. EUR 98,00. |
ISBN 978-3-95490-280-4
[L, Reichert]
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