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Kirchner Holzschnitte

Kirchner neu gesehen

Kirchner-Ausstellungen gibt es nun wahrlich nicht wenige und seine Druckgraphik stand auch schon oft im Fokus. Oft genug, könnte man meinen. Der Kunsthalle Bremen ist aber ein wahrer Coup gelungen: Nicht nur dass eine bislang unpublizierte Privatsammlung die eigenen Bestände der Holzschnitte mit hervorragenden Exemplaren bereichert. Die Kuratorin des Kupferstichkabinetts, Annett Reckert, lud drei zeitgenössische Holzschnittkünstler ein, sich mit Kircher auseinanderzusetzen. Das gibt es: Zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler, die ausschließlich in dieser uralten Technik arbeiten und ganz eigene Handschriften entwickelt haben. Die Temperamente der drei könnten nicht unterschiedlicher sein. Gabriela Jolowicz arbeitet in ihren Montagen des Alltagslebens erzählerisch und mit großer Begeisterung für die Muster des Schwarz-Weiß. Für die Ausstellung hat sie sich dezidiert auf Kirchner eingelassen und Gesichter aus dessen Schnitten in heutige Alltagsszenen versetzt, was Kirchner eigenartig gegenwärtig wirken lässt ohne dass die Künstlerin irgendetwas von ihrer eigenen Bildsprache hätte aufgeben müsse. Thomas Kilpper ist für seine oft raumfüllenden Holzschnittmontagen bekannt, in denen er in einer Art Agitprop-Stil zeitgenössische Bilder in den Holzschnitt collagiert, montiert und zum Teil wie im Comic mit Sprechblasen kombiniert. Er ging für die Ausstellung auf die aktuelle Zeitgeschichte und auf Themen der Bremer Politik ein, die über Bremen und die Ausstellung hinaus Bedeutung haben. Benjamin Badock arbeitet völlig anders, indem er meist die Flächen seiner buntfarbigen Bilder wie Klötzchen in Steckspielen anordnet. Er setzte sich vor allem mit Kirchner Zeit in Davos auseinander, was treffend zeigt, dass jeder der drei Künstler unterschiedliche spezifische Phasen in Kirchners Werk aufgriff, ohne dass dies in irgendeiner Weise didaktisch-bemüht wirkt.
Grundthema des Buchs sind aber natürlich die Holzschnitte, die so für sich betrachtet, die ketzerische Frage aufkommen lassen: wozu braucht es das restliche Werk dieses Künstlers? Einzelne Blätter und Gruppen werden dabei mit knappen, aber kenntnisreichen Texten unterschiedlicher Autoren eingeleitet, so dass man einen guten Überblick zu Kirchners künstlerischem Gesamtwerk bekommt.
Der Katalog erscheint passenderweise in dem von Christoph Ruckhäberle gegründeten Leipziger Lubok Verlag, der seit 2007 Publikationen mit Originalholzschnitten, darunter die Reihe der Lubok Bücher herausgibt. Aus einem Kirchner-Katalog wurde hier jedoch ein Künstlerbuch, denn es sind jedem Exemplar jeweils ein Ausschnitt aus einem der Holzschnitte von Badock, Jolowicz und Kilpper, die extra für die Ausstellung entstanden sind, beigebunden. Gestaltet wurde der Katalog vom Shortnotice Studio in Berlin. Buch- und Kataloggestaltung spielt sich heutzutage gerne etwas penetrant in den Vordergrund. Hier kommt sie wie ein Schlag mit der Faust ins Gesicht des Lesers daher. Der Satzspiegel bis zum Rand, immer wieder wechselnde Typographie auch in der Größe, riesige Abbildungen – Brüche des guten Geschmacks ohne Ende. Aber wollte Kirchner nicht auch dem Betrachter mit seinen groben Schnitten ins Holz in die bürgerliche Fresse hauen? Das alles ist laut und brutal und lässt doch in den Details immer wieder den Blick zur Ruhe kommen, öffnet für das feine Gespür des Künstlers die Augen. Dass dies funktioniert ist sicherlich auch der hervorragenden Qualität der Reproduktionen und der Auswahl unterschiedlicher Papiere geschuldet. Und gleichzeitig ist das Buch mit seinem geprägten Leineneinband eine Hommage an das gut gemachte Buch. Dieser Widerspruch ist elektrisierend. Die Ideen sind den Gestaltern nicht ausgegangen. Das Innere des Schutzumschlags haben sie für Aufnahmen der Ausstellungssituationen genutzt. Die Ausstellung wird leider wieder verschwinden, aber das Buch wird bleiben. Und es wird sicherlich noch Preise einheimsen.

02.02.2025
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Subskriptionspreis bis zum Ende der Ausstellung (9.3.25): 35,00 €; DANACH. 49,00 €
Andreas Strobl
Kirchner Holzschnitte. Benjamin Badock, Gabriela Jolowicz, Thomas Kilpper. Illies, Florian. Künstler / Künstlerin Badock, Benjamin; Jolowicz, Gabriela; Kilpper, Thomas; Kirchner, Ernst Ludwig; Hrsg.: Reckert, Annett. 316 S. 26,5 x 20 cm. Lubok Verlag, Leipzig 2024. EUR 35,00.
ISBN 978-3-910704-07-7
 
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