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Mandragora. Pflanzen als Künstler |
Als "monströse Rübe in Menschengestalt" wurde ab ca. 1670 in zahllosen Traktaten in Europa unter den damaligen Künstler- und Naturwissenschaftlerinnen heiß diskutiert. In der hybriden rätselhaft-zufälligen Form der "Mandragora" überschnitten sich seit der Frühen Neuzeit vielfältig bildhafte Erscheinungsformen und aktuelle Fragen nach dem Ursprung erstaunlich "menschenähnlich" wirkender Dingen.
Nun hat der Münchener Kunsthistoriker Ullrich Pfisterer in methodisch beispielhafter Weise einen kunst- und wissenschaftshistorischen Rück- und Überblick zu diesem Phänomen vorgelegt, dessen Aktualität in der Gegenwart nicht deutlicher sein könnte. Die überraschende Menschenähnlichkeit von artifiziell hergestellten Bildern und Oberflächen, die Frage nach Echtheit und Künstlichkeit, beherrschen bekanntlich seit einiger Zeit die Diskussion um KI und es macht den Reiz dieser Publikation die heutige Welt der KI als Subtext im Hintergrund mitzulesen. Gerade weil heute Geister und Dämonen unterschiedlichster Art in ihren anthropomorphen Ausdrucksweisen in den gut abgesicherten Bereich der Kunst zurückverwiesen wurden, erscheint es heute umso relevanter, sich den kollektiven Phantasien von Phänomen der Verwandlung und Rückverwandlungen zwischen Kunst und Natur umso mehr bewusst zu werden. Pfisterer ist dabei weder an einer rein kunsthistorischen noch einer eindeutig wissenschaftshistorischen Analyse gelegen, sondern unternimmt eine höchst spannend zu lesende Art eines „Deep Reading“ aller Phänomene, die die Geschichte der Abbildungen der Mandragora mit den höchst unterschiedlichen Aspekten ihrer systemisch-historischen Rezeption miteinander interagieren lässt. Den Autor interessieren dabei vor allem, wie am Beispiel der rätselhaft-zeitlosen Ursprungsgeschichte dieses Naturphänomens, auch zentrale Fragen der damals entstehenden Kunsttheorie verhandelt werden. Während Kunsttheoretiker jedoch vorwiegend an ästhetischen Normen und Idealen interessiert waren, bemühten sich die eher naturwissenschaftlich orientierten Forscher um eine tiefer gelegte Ursachenerklärung für derartige „Monster-Phänomene“, die aufgrund ihrer zunächst scheinbaren Unerklärbarkeit mit der Allmacht Gottes oder schlicht dem Zufall in Verbindung gebracht wurden.
Pfisterers elegant strukturierte Studie liest sich wie eine Darstellung, die explizit methodisch die Jetztzeit einer Geisteswissenschaft reflektiert, indem es ihr gelingt, das Ganze einer Gegenwart mit den endlosen Details (Ideen, Bilder, wissenschaftshistorische Zitate) ihrer historischen Ausprägungen gleichzeitig im Blick zu behalten. Wer Spaß am selbstaktiv gewordenen Denken und Wahrnehmen hat, dem sei Pfisterers Band nachhaltig empfohlen. Dass sich bei diesem frühen Avatar der neuzeitlichen Bildgeschichte der Mandragora, von Beginn an die traditionellen Grenzen zwischen Kunst und Bild, Menschenähnlichkeit und Zufälligkeit, Echtheit und Künstlichkeit auflösten, wird auf nahezu jeder Seite dieses Bandes immer deutlicher. Er bildet den weithin offenen gegenwärtigen Horizont, zu dem der Autor - offenbar mit großer Neugier - aufgebrochen ist.
Zu beziehen auch unter: https://books.ub.uni-heidelberg.de//arthistoricum/catalog/book/1369
06.11.2024 |
Michael Kröger |
Mandragora - Pflanzen als Künstler. Eine Naturgeschichte des Bilder-Machens in der Frühen Neuzeit. Pfisterer, Ulrich. 2024. 232 S. Abb. 19,6 x 12,5 cm. arthistoricum. Heidelberg 2024. EUR 19,90. CHF 19,90 |
ISBN 978-3-98501-253-4
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