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Eine schwere Entdeutschung

Eines der anregendsten Zitate von Bazon Brock geht so: "Ein Problem wird dann zu einem Problem, wenn es unlösbar erscheint". Seit sechs Jahrzenten gehört Brock selbsternannter " Denker für die Kunst " und "Künstler ohne Werk" zu den produktivsten Kunstvermittlern im deutschen Sprachraum. Wer einmal seine - in der Regel frei gehaltenen - "Action Teachings" zur Kunst- und Kulturtheorie beigewohnt hat, braucht in der Regel eine kurze Auszeit um sich von der Fülle seines Ideengewitters zu erholen, der dann regelmäßig auf das sprachlos dasitzende Publikum einprasselt. "Mehr verlangt nach noch mehr" scheint Brocks Leistungs- und Lebensmotto zu sein. Zuletzt war Brocks vernichtende Kritik der Documenta Fifteen in allen Medien. Dem kollektiv operierenden „Kulturalismus" der letzten Documenta hielt Brock streng die Autorität der Einzelkünstlerinnen entgegen, die allein in der Lage seien, die Ideale der Freiheit und ästhetischer Selbstentgrenzung zu erfüllen. So inspirierend viele Thesen Brocks auf den ersten Blick wirken, so irritierend und manchmal auch bewusst irrlichternd und vortäuschend kommen seine Großthesen und "kognitiven Fakes" häufig daher. Zum Glück enthält sich B.B. aber rechtsextremen Ressentiments wie man sie leider bei anderen Star-Intellektuellen beobachten kann.

Brock ist ohne Zweifel ein Großmeister des westlichen Ideen-Synkretismus, der ohne Schwäche zu zeigen etwa über die Metaphysik der Hausarbeit und Gehversuche während des Denkens dozieren kann und damit das Publikum glänzend herauszufordern und (!) zu unterhalten vermag. " Kunst als Evidenzkritik", Schwindel als Kulturleistung", " Erkenntnisstiftung durch kognitive Fakes", " Sensation des Normalen", "Unsterblichkeit durch Unterlassen" - keine sprachliche Zuspitzung, keine metaphorische Überreizung ist diesem bildungsreichen Autor zu teuer, kein teilweise zynischer Unterton zu billig als dass er ihn nicht verwenden würde.

Brock weiß genau, welche Register das vorgebildete Publikum goutiert und wie er es provoziert. Die "Gottsucherbande - was für eine passende Umschreibung für das alte Bildungsbürgertum - verleugnet nicht seine Traditionen. Im Gegenteil: Bazon Brock ist Medium, Berater, Theorie-Terrorist und passionierter Kunstexperte in seiner eigenen hochgeschätzten "Persona grata". "Im Scheitern liegt Vollendung" - so lautet ein Apercue im gleichnamigen Kapitel. Vom finalen Scheitern "by dying" ist der 88jährige deutsche Denkartist hoffentlich noch lange entfernt. Er pflegt weiter munter seinen "apokalyptischen Optimismus". Dass der Autor dabei auf aktuellste soziale Probleme leider so gar nicht eingeht (Stichworte: Rechtsextremismus, Spaltung der Demokratie und KI) ist dagegen wirklich bedauerlich. Das Publikum, lieber Bazon Brock, wartet allerdings auf längst fällige Anschlussinformationen. "Es gilt also das jetzige Leben vollständig unter der Annahme möglicher Alternativen zu verstehen." Humor geht beim Lehrmeister Brock irgendwie doch etwas anders ....

06.08.2024
Michael Kröger
Eine schwere Entdeutschung. Der Widerruf des 20. Jahrhunderts ist die Zukunft Europas. Brock, Bazon. 300 S. 82 fb. Abb. 24,5 x 17,7 cm. Br. Schwabe Verlag, Bern 2024. EUR 28.
ISBN 978-3-7965-5101-7
 
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