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„Freue dich, Nürnberg, … - Die Sebalduskirche in Nürnberg

„Freue dich, Nürnberg, … du hast empfangen zu beherbergen den heiligen Herrn St. Sebald … . Er hat die Stadt beschützt und sie zu Ehre, Reichtum und Ansehen gebracht“ – so wurde der Stadtpatron der damaligen Reichsstadt 1488 gelobt. Noch heute stellt sich in der Sebalduskirche immer neue Freude ein angesichts der Dichte und Mannigfalt von Kunstwerken aus dem 14. bis 16. Jahrhundert, darunter von so namhaften Meistern wie Albrecht Dürer, Veit Hirschvogel, Adam Kraft, Veit Stoß oder Peter Vischer. Doch weder der Pfarrkirche noch den herausragenden Werken allein gilt Gerhard Weilandts breit angelegte Publikation „Die Sebalduskirche in Nürnberg“; er habilitierte sich mit der Arbeit 2004 an der Technischen Universität Berlin. Der Interessierte hat aber keine nur Fachwissenschaftlern zugängliche Abhandlung zu erwarten, auch wird er keiner reinen Architekturmonografie oder einem historischem Inventar begegnen. Das verspricht bereits der Untertitel „Bild und Gesellschaft im Zeitalter der Gotik und Renaissance“. Zur Architektur wie zur Ausstattung finden sich Neuigkeiten, Weilandt hebt aber ausdrücklich hervor, „das Zusammenspiel von Kunstwerken aller Gattungen mit dem umgebenden Raum“ aufzeigen zu wollen. Das Buch beansprucht dabei für die Werke in St. Sebald, als Bild oder Bildwerk bezeichnet, nichts weniger, als sie „einerseits aus ihren Funktionen und aus den Stiftermotiven, andererseits aus dem Kontext des Raumes, für den sie geschaffen wurden“, zu erklären. Schon der günstig überlieferte Bestand an Quellen und Werken lässt Weilandts Ankündigung, „die Sebalduskirche wie kaum ein anderer mittelalterlicher Großbau (erlaubt) Einsicht in die Vorstellungen der Zeitgenossen und ihren Bildgebrauch“, sinnvoll erscheinen und verheißt ebenso spannende wie weit führende Aufschlüsse. Die Einleitung schließt mit einem Bescheidenheitsgestus, die Studie solle ein Anfang sowie Anregung für ähnliche Forschungen zu Bauten und ihrer Ausstattung sein, der mehr als einnehmende Rhetorik ist. Weilandts Untersuchung ist dazu angelegt, nicht nur neue Ergebnisse an der Kirche als glücklich gewähltem Beispiel zu erzielen, sondern auch methodisch Exemplarisches zu bieten.

In der schwergewichtigen und reich ausgestatteten Publikation im Großformat mit nahezu 300 Farb- und fast 200 schwarz-weißen Abbildungen ist der umfangreiche Stoff in eine längere Darstellung und einen etwas kürzeren Katalog aufgeteilt. Dies begünstigt eine bessere Lesbarkeit, der in der Darstellung auch die Anmerkungen als Endnoten, als Fußnoten im Katalog geschuldet sind. Der übliche Apparat von Abkürzungen, Quellen und Literatur sowie Namens-, Sach- und Objektregister erschließt die überbordende Fülle von Angaben und Belegen. Verzeichnet der Katalog die 15 Altäre in chronologischer Folge ihrer Weihedaten und dann die Angaben zu Altar und Ausstattung in einer nachvollziehbaren Aufteilung von Altar, Retabel, Altarzubehör, Gräber und Totengedächtnisse beim Altar sowie Objekte in der Altarumgebung, erschließt sich die Gliederung des darstellenden Textes nicht so leicht. In ihm sind chronologische und inhaltliche Argumentationen miteinander verwoben, wobei an der zeitlichen Ordnung weit möglich festgehalten ist. Nach kurzer Orientierung wird verständlich: Der erste Teil („Grundlagen und Beginn“) gilt großteils der Zeit bis kurz vor 1400, der zweite, umfangreichste Teil („Die Hierarchie der Räume“) schließt mit dem 15. Jahrhundert und wenigen Rückgriffen auf Älteres an, und der dritte Teil („Neubeginn um 1500“) führt bis zu dem 1519 vollendeten Sebaldusgrab als spätem Höhepunkt. Dies entspricht zwei Phasen der Baugeschichte von der romanischen Basilika über die Umbauten im 14. und 15. Jahrhundert sowie der Kirchenrenovierung von 1493 und ihren Folgen. Man könnte bemängeln, dass die Maßnahmen späterer Jahrhunderte, etwa die Barockisierung oder Rückbauten und Rekonstruktionen von 1888 bis 1906, nicht behandelt sind. Damit würde man aber kaum treffen, denn Weilandts erklärte Absicht ist es, eine auf die Blütezeit begrenzte Darstellung von Kirche und Ausstattung vorzulegen.

Der eröffnende Abschnitt des darstellenden Textes, überschrieben „St. Sebald, die vornehmste Nürnberger Pfarr- und Ratskirche“, ist für das Buch in mancher Weise charakteristisch. Der mit vier Seiten vergleichsweise kurze Text ist lesbar und mit zugehörigen Abbildungen durchsetzt. Mit der atmosphärischen Schilderung des Einzug Friedrichs III. in Nürnberg führt Weilandt den Leser in das Mittelalter und leitet zugleich mit einem in sich geschlossenen Abschnitt drei grundlegende Gesichtspunkte her. Man könnte ihm vorwerfen, das gewählte Ereignis von 1442 sei angesichts der Kapitelüberschrift („Von den Anfängen bis zur Vollendung der romanischen Basilika“) irreführend, doch erweist sich der Zeitsprung als hilfreich, um die Anfänge, denen es hier wie häufig an Belegen mangelt, vom Ergebnis her zu erkennen: Bis zum 15. Jahrhundert wurde St. Sebald die wichtigste Pfarrkirche der Stadt, war Kirche der Ratsfamilien sowie Begräbnisstätte des Kirchen- und Stadtpatrons, der 1425 heilig gesprochen wurde. Anhand dieser im Laufe der Jahrhunderte unterschiedlich gewichteten Elemente kann Weilandt die zahlreichen Bemühungen der ratsfähigen Nürnberger um ihre Kirche und deren hohen Rang herleiten.

Der zweite Teil ist einzelnen Raumteilen wie Hochchor, Choreingang und Langhaus gewidmet, in denen offenbar nach zentraler Planung die Grabstellen und Stiftungen verteilt wurden und sie sich zu „Stiftungskomplexen“ von Familien verdichteten. Auf sie als Stifter, nicht auf Zünfte oder Individuen, führt Weilandt die Stiftungen zurück. Die beschenkten Stellen sieht er nach einer strengen „Hierarchie der Orte“ gegliedert; diese ist aus der Vorstellung der Kirche als Abbild des himmlischen Jerusalem abgeleitet, die wiederum auf der Rangordnung der Heiligen fußt und sich in der Stufung der Altäre nach Patrozinien zeigt. In den „Verehrungszonen“, die sich um jeden Altar bildeten, entstand, wie Weilandt in den folgenden Kapiteln sowie mit zahlreichen Angaben im Katalog belegt, „ein dichtes Gefüge von Werken mit verwandten, häufig sogar identischen Bildthemen“. Seine Einsicht ist wohl begründet, dass die mittelalterliche Ausstattung in St. Sebald „in ihrer primär auf die Bildprogramme konzentrierten Wirkung (ist) solchen Betrachtern fremd, die allein nach einem ästhetischen Gesamteindruck suchen“. Auch für vergleichbare Kirchenbauten gilt seine Mahnung: „Die Ästhetik der spätmittelalterlichen Ordnung ist mit modernen formalen Kriterien nicht zu erfassen. Nicht zuletzt deshalb wurde sie weitgehend zerstört und muss mühsam rekonstruiert werden.“

Im dritten Teil, der den Umgestaltungen um 1500 gilt, füllen neben kürzeren Kapiteln zu anderen Stiftungen die gut 50 Seiten einnehmenden Erläuterungen zum Sebaldusgrab das Kapitel bis zum Überquellen; sie erscheinen eher als separate Publikation. Da dieser lange Abschnitt zudem durch Überschriften nicht gegliedert ist, wirkt er unübersichtlich und verschlossener als der übrige Text. Hier entwickelt Weilandt in Auseinandersetzung mit der Fachliteratur, mit Beobachtungen und neuen Quellen drei interessante Thesen: Das Sebaldusgrab entstand in deutlicher Konkurrenz zum gleichzeitigen Bamberger Kaisergrab Tilman Riemenschneiders, als Vorlage diente die humanistische „Historici Herculis“ von Pankraz Schwenter, auch zeige sich „ein ganz neues Künstlerbewusstsein“ darin, dass Peter Vischer in der gleichen Zone also auf gleicher moralischer Höhe wie Sebaldus stehe. Indem für das Entstehen des Sebaldusgrabes zwei Phasen mit zuerst mittelalterlicher, dann humanistischer Grundstimmung unterschieden sind, erscheint dieses Werk als Wende-, aber auch Schlusspunkt der Ausstattung von St. Sebald. Darauf fußend betont Weilandt abschließend zu Recht, mit der 1524 erfolgten Reformation sei in der Kirche keine „längst im Innern marode Kultur des „Spätmittelalters“ zu Grabe getragen“, sondern eine „überaus innovative und produktive künstlerische Erneuerung abrupt unterbrochen“ worden.

Wollte man kritteln, wäre die Schwergewichtigkeit des Buches anzumerken. Mit weniger Last erführe man aber auch nicht die Lust eines ausführlichen, detailreichen Textes, der zahlreichen Abbildungen von durchweg überzeugender Qualität und die Sammlung auch für Vergleiche hilfreichen Belege im Katalg. Das Buch verlangt seinem Leser fraglos einige Arbeit ab und muss zweifelsohne oft aufgeschlagen werden. Es belohnt aber schon in kleineren Abschnitten mit geschlossenen Analysen und im Gesamten mit einer umfassenden Darstellung des bedeutenden Großbaues und seiner Ausstattung. Bisher nahm man Friedrich Wilhelm Hoffmanns 1912 erschienenes Buch zu Baugeschichte und Kunstdenkmalen der Sebalduskirche, mit 257 Seiten, 15 Tafeln und 144 Abbildungen auch kein Leichtgewicht, zur Hand und musste dann ergänzend zahllose aktuelle Erkenntnisse heranziehen. Nun kann Weilandts Publikation als Standardwerk zu der Nürnberger Pfarrkirche und ihrer Ausstattung dienen. Neben den wichtigen Ergebnissen sind in der Methode überdies Maßstäbe und Wegweiser für die Bearbeitung anderer Bauten mit mittelalterlicher Ausstattung erreicht.
Götz J. Pfeiffer
Weilandt, Gerhard: Die Sebalduskirche in Nürnberg. Funktionen, Standorte und Stifter der Bilder zur Zeit der Gotik und Renaissance. 560 S., 250 Abb. 30 x 22 cm. Gb , Imhof, Petersberg 2006. EUR 79,00
ISBN 3-86568-125-5   [Michael Imhof]
 
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