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Burgund - Ein Reise-Lesebuch

Roland Barthes schrieb einmal, Frankreich bestünde lediglich, würde man dem berühmten Guide Bleu Glauben schenken, aus einer einzigen Folge kunstgeschichtlicher Sehenswürdigkeiten: Kirchen, Kathedralen, Museen, Schlössern oder archäologische Ausgrabungsstätten. Und tatsächlich ist in Burgund-Reiseführern nicht selten eben jener Bereich Themenschwerpunkt. So etwa in dem im Jahre 1994 erschienen Reiseführer „Burgund“ von Bernhard Serexhe oder in Thorsten Drostes Kunstreiseführer „Burgund. Klöster, Schlösser, historische Städte und die Kultur des Weinbaues im Herzen Frankreichs“ von 1998. Damit ist nicht gesagt, dass eine solche inhaltliche Ausrichtung keine Vorteile und Vorzüge besitzt, was zweifellos der Fall ist, man denke etwa an das legendäre, heute noch gerne gelesene Burgundbuch von Helmut Domke, sondern lediglich, dass es - und das hier anzuzeigende Werk der Autorin Michaela Spaar ist dafür ein vorzügliches Beispiel - auch anders geht. Dass sich Burgund dem lesend Reisenden von einer ganz anderen Seite erschließen kann, ohne dass er dabei all der vielen kunstgeschichtlichen Juwelen der romanischen Baukunst oder der kulturellen Blüte am Hofe der Burgunderherzöge entbehren muss.
Die Autorin schreibt in der "Wir-Form", was ungewöhnlich ist, dem Buch jedoch eine sehr persönliche Note gibt, da es grundsätzlich offen bleibt, wen Michaela Spaar - respektive der Leser und die Leserin - auf ihre Reisen in Burgund mitnimmt. Dieser stilistische Kunstgriff bringt es auch mit sich, dass sich der Lesende immer dicht am Geschehen teilhabend wähnt. Insbesondere dann, wenn Menschenbegegnungen - etwa an Orten wie "La Boulaye - Tempel der tausend Buddhas" (S. 234-242), "Rimont - Die Gemeinschaft des Heiligen Johannes" (S. 242-248) oder Taizé (S. 223-234) - geschildert werden. Und es gibt Stellen in dem Bändchen, da schwingt sich die erzählende Beschreibung in der unmittelbaren Reflexion der Autorin - für ein Reise-Lesebuch positiv ungewöhnlich - zu literarischen Höhen auf, ja es könnte der Leser selbst sein, dem das von der Autorin Beschriebene widerfährt: "Das Erfolgsrezept dieses Ortes ist wohl, dass die Jugendlichen wahrgenommen werden, ihnen jemand voll und ganz zuhört wie selten an einem anderen Ort. Da fällt mir ein Text ein, den ich am Tag zuvor gelesen hatte. Einer der Brüder hatte die Quintessenz von Taizé so formuliert: „Vertrauen ist in Tainzé ein Schlüsselwort...“" (S. 232). Gedanken also, zu denen die Autorin durch die Anschauung des Wahrgenommen geführt wird und die sie unmittelbar mitteilt.
Das Reise-Lesebuch hat mit "Historische Wendepunkte" (S. 13-148) und "Erbe und Identität" (S. 149-249) zwei Hauptkapitell, die jeweils vierfach unterteilt sind. Man könnte sagen, dass das erkenntnis- und reiseleitende Motiv der Autorin das Interesse am Burgund der Gegenwart ist, dass sie - zu Recht - interessiert, wie Vergangenes im Heute fortwirkt. Dies bedeutet, dass die Sehenswürdigkeiten und Attraktionen des Burgund - die romanischen Kirchen, der Dijon-Senf, die Erfindung der Fotografie in Saint-Loup-de-Varennes durch Joseph Nicéphore Niépce und die Geschichte des Weinbaus oder die Kunstmuseen und die römische Vergangenheit - in einer Weise beschrieben werden, die im Lesenden eigene Fragen auszulösen vermag. Gerade weil ihm in den Beschreibungen und Darstellungen der Autorin eine mögliche Sicht gleichsam wie zur Prüfung angeboten wird, ob er das Beschriebene eigener Wahrnehmung nach ebenso erlebt wird, ob es Ergänzungen bedarf oder ob es sich nochmals gänzlich anders zeigt. Das hier Gesagte mag banal klingen - wer sich jedoch die Mühe macht, Michaela Spaars Reise-Lesebuch einmal vor dem geschilderten Hintergrund zu lesen, wird bemerken, wie professionell sich dessen Autorin in dem von ihr behandelten Gebieten ingesamt bewegt. Bei der ansprechenden Lektüre - das Buch liest sich tatsächlich ausgesprochen lebendig - könnte dies leicht übersehen werden. Ein Blick in das sechs Seiten umfassende Literaturverzeichnis lässt allerdings etwas von der Mühe erahnen, die aufgewendet werden musste, um beim Lesenden einen solch lebendigen Eindruck zu erwecken. Im Text selbst ist die Kenntnis der Autorin im Detail versteckt, im Hinweis auf die neun Lichtflecken, die zur Sommersonnenwende in der Kirche Sainte-Madeleine von Vézelay genau die Mitte des Kirchenschiffs markieren und den Weg zum Altar weisen (S. 73) etwa. Nützlich sind eine ganze Reihe in den Text eingestreuter Exkurse zu speziellen Orten, Legenden, Ereignissen oder Personen und Adressen. Und es passt sehr gut zu dem Lesen in mehreren Schichten, dass dieses Reise-Lesebuch zu Burgund auf jegliche Farbaufnahme verzichtet, alle Abbildungen in Schwarzweiß bietet und nur ein einziges Mal (S. 73) eine ganzseitige Abbildung besitzt.
Matthias Mochner
Spaar, Michaela: Burgund. 256 S., 50 sw. Abb., mit 1 Kte. 21 x 14 cm. Pb. (Reise-Leseb. z.Wirtsch., Kultur u. Techn. ). almundo, Zürich 2005. EUR 19,90
ISBN 3-9523040-2-6
 
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