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signa visibila

Angesichts der vielfachen Verschränkungen von Bild und Text ist es erstaunlich, dass bislang ein Lexikon zu den signa visibila, anschaubaren Zeichen, zu denen Symbole gehören, fehlte. Diese Lücke schließt ein von den Augsburger Literaturwissenschaftlern Günter Butzer und Joachim Jacob in Zusammenarbeit mit 170 Autoren herausgegebenes Lexikon literarischer Symbole, das beim Verlag Metzler erschien und deshalb auch als „Metzlers Lexikon literarischer Symbole“ firmiert.

Im Vorwort skizzieren die Herausgeber nicht nur ihr Vorhaben, sondern schränken es auch ein. Angestrebt wurde weder Vollständigkeit der Symbole noch der Belege, sondern eine Auswahl der wichtigsten und verbreitetsten Symbole „der deutschen und europäischen (z.T. auch außereuropäischen) Literaturgeschichte“. Dabei legen die Herausgeber einen weiten Literaturbegriff zugrunde, der belletristische Werke ebenso umfasst wie weltliche und religiöse Gebrauchsliteratur, Märchen, Fabeln sowie Unterhaltungs- und Kinderliteratur, der es ihnen erlaubt, das Bedeutungsspektrum von Symbolen in unterschiedlichen literarischen Kontexten zu erfassen. Zeitlich spannt sich der Bogen bis in die vorchristliche Zeit, nahezu 3000 Jahre Symbolgeschichte werden aufgearbeitet. Konzeptionell setzten die Herausgeber auf konsequente Historisierung und damit auf die Erfassung des Bedeutungswandels. Am Ende des Vorworts machen sie nochmals dieses Moment stark, indem sie darauf hinweisen, dass die Bedeutung von Symbolen nicht nur lexikalisch fixiert sein kann, sondern in jeweils spezifischen sozialen, literarischen, historischen und man könnte hinzufügen, kulturellen, Kontexten gebildet werden. Zu dieser Bildung soll mit diesem Lexikon angeregt werden. Die Herausgeber setzen dabei auf den aktiven, „kritisch-deutenden“, Leser.

Sprachwissenschaftlich gesehen grenzen die Herausgeber Symbol von anderen sprachlichen Wendungen wie Metonomie, Allegorie und Metapher ebenso ab wie vom literarischen Motiv, wobei sich diese verschiedenen Bereiche auch verschränken können. Unter Symbol verstehen die Herausgeber in diesem Lexikon eine sprachliche Referenz auf konkrete Dinge, Phänomene oder Tätigkeiten, die mit einem „über die lexikalische Bedeutung hinausweisenden Sinn verknüpft“ sind. Ein Artikelverzeichnis nach Sachgebieten verdeutlicht diesen Zuschnitt. Erörtert werden Symbole aus den Bereichen 1) Dinge, Kleidung, Technik, Verkehrsmittel; 2) Kosmos: Himmel und Erde: 3) Körper, Menschen, Figuren; 4) Literatur wie Tinte, Schrift, Buchstabe, Bibliothek; 5) Musik: Musikinstrumente, Stimme; 6) Naturphänomene und Naturprodukte wie Erdbeben, Feuer, Milch, Öl, Perle; 7) Pflanzen, Blumen, Früchte, Bäume; 8) Tiere und 9) Zeiten und Feste. Für Kunstinteressierte vielleicht besonders interessant sind weitere fünf Sektionen wie 10) Räume, Orte, Bauwerke; 11) Farben; 12) Zahlen; 13) Spiel und 14) Steine, Metalle.

Auf dem Feld sprachlicher Wendungen kennen die Herausgeber sich aus. So bemerken sie die aktuelle Konjunktur zu Forschungen im Bereich Metapher und Metaphorik. Ob nun zu einzelnen Metaphern wie „Don Quijote als gelebte Metapher“ (Bernhard H.F.Taurek) oder „Metaphern der Gesellschaft“ (Susanne Lüdemann), einem „Wörterbuch der philosophischen Metaphern“ (Ralf Konersmann), die Metapher ist allgegenwärtig in den Geisteswissenschaften. Spannend wird es, wenn die Metapher der Quelle, die Otto Gerhard Oexle erforschte auf die Quelle als Symbol trifft, die die Autorin Daniela Gretz vorstellt. Der Verlegenheitslösung, Metapher als Reaktion auf einen „inflationären und ideologische aufgeladenen Gebrauch des Symbolbegriffs“ soll, wollen Butzer/Jacob entgegentreten. Um aber nun selbst inflationären Gefahren zu begegnen, nehmen sie noch weitere Einschränkungen vor. Nicht betrachtet wurden Symbole, die nur für den Autor eines literarisches Werkes allein relevant sind. Ferner wurde auf Belegstellen aus der Bildgeschichte, bis auf den Sonderfall der Emblematik, einer Text-Bild-Kombination, weitgehend verzichtet.

Nach diesen einleitenden Bemerkungen der Herausgeber, enthält das Lexikon Hinweise zu deren Benutzung und dem Aufbau der Artikel, an deren jeweiligen Ende ein Namenskürzel zu finden ist, das im Verzeichnis der Autorinnen und Autoren aufgeführt ist. Im Entrée findet sich noch eine Auswahlbibliographie, Siglen von herangezogener Literatur und ein alphabetisches Artikelverzeichnis.

Man soll zwar den Abend nicht vor dem Morgen loben, sagt ein Sprichwort, das hier jedoch nicht gilt, denn mit dem Abend beginnt das Lexikon und bereits mit dem ersten Artikel muss ein Lobgesang auf die Qualität dieses Unternehmens angestimmt werden. Gut verständlich mit Präzision und Prägnanz eröffnet der Autor des erstens Eintrags Timo Müller (TMü) den Durchgang, der mit Ausführungen zum Symbol Zypresse auf 443 Seiten endet. Es ist ein gewaltiges Unterfangen allein Kontinuität und Variation der Bedeutungsaspekte von Symbolen darzustellen. Dies ist in jedem Artikel der zweite Schritt, nachdem die symbolischen Grundbedeutungen und die sachlichen Eigenschaften der Symbolträger vorgestellt wurden. Auch graphisch lässt das Lexikon keine Wünsche offen, werden die Symboltransformationen nicht nur mit Nummern versehen, sondern auch durch Verwendung der Kursivschrift deutlich hervorgehoben. Jeder Eintrag, der auch im Text mit dem Sonderzeichen „Pfeil“ versehen, Querlektüren möglich macht, endet mit weiteren Pfeilzeichen zu verwandten Symbolen und bibliographischen Hinweisen.

Alles fließt, sagte Heraklit und die Zeit allemal, ist man einmal in die Lektüre dieses Lexikons vertieft, denn es ergeben sich spannende Bezüge auch zur Kunst. So sind nicht wenige bildende Künstler als Doppelbegabungen, Schriftsteller oder Musiker, intermedial unterwegs und es herrscht reger Austausch von Text und Bild in literarischen wie Werken der bildenden Kunst. Diese Vielheit der Relationen wurde jüngst im „Handbuch Literaturwissenschaft“, herausgegeben von Thomas Anz, aufgeführt. Ein Bezug, der, hier wie dort, von Bedeutung ist, läßt sich am Stichwort Narr zeigen, das selbstredend auf Sebastian Brants „Narrenschiff“ oder Till Eulenspiegel eingeht. Viele ältere literarische Werke sind, wegen des damaligen Lesefähigkeitenmangels eines größeren Publikums, illustriert. Sodann, bei Symbolen im Bereich Farben oder Bauwerke ist der Bezug zur bildenden Kunst oder Architektur ebenso offensichtlich wie im gesamten Feld Werbung und Design. Kenntnisse von Symbolen und deren Bedeutung, darauf wies nicht zuletzt der Kultursoziologe Pierre Bourdieu hin, werden in gesellschaftlichen Austauschbeziehungen, zur Markierung sozialen Rangs, subtil eingesetzt. Nicht nur deshalb ist das Werk von Butzer/Jacob, analog dem Duden, maßgebend in allen symbolischen Zweifelsfällen und der Verlag Metzler wird, auch mit diesem Lexikon, seinem Rang als seriöser Verlag gerecht, der sich im Bereich Kulturwissenschaften einen guten Ruf erworben hat.
31.3.2009


Sigrid Gaisreiter
Metzler. Lexikon literarischer Symbole. Hrsg. v. Butzer, Günter /Jacob, Joachim. XXVI, 443 S. 23,00 x 15,50 cm. J. B. Metzler, Stuttgart 2008. Gb EUR 39,95
ISBN 978-3-476-02131-1
 
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