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Jan Voss

Der gebürtige Hamburger, Jan Voss (*1936), der 1960 nach Paris ging, ist in Frankreich, anders als in Deutschland, ein bekannter Künstler. Hierzulande wird sein Werk vor allem durch die Galerien Nothelfer (Berlin) und Boisserée (Köln) vertreten. Mehrere französische Museen packten, anlässlich einer Ausstellung, zusammen mit der renommierten Kölner Galerie dessen künstlerischen Ertrag der Jahre 2001 bis 2008, in einen schönen Katalog der 2008, als deutsch-französische Koproduktion, bei den Art inprogress éditions 2008 zweisprachig, in französischer und deutscher Sprache, erschien. Anders als vielfach heute im Ausstellungsbetrieb üblich, die Kataloge als verkappte kunsthistorische Monographien vorlegen, liegt hier ein Katalog vor, in dem Abbildungen von Werken vorherrschen, die nur durch zwei Texte, von Jean-Christophe Bailly am Eingang und einem Interview von Philippe Cyroulnik mit Voss am Ausgang umrahmt werden.

In diesem Interview spricht Voss ausführlich zu seinen Arbeitsweise und Werkgruppen Malerei, Relief und Skulptur und den ihnen angemessenen künstlerischen Vorgehensweisen sowie von künstlerischen Verwandtschaften. Dabei zählt er auf, mit welchen Größen er verglichen wurde, darunter auch Frank Stella oder Jackson Pollock. Überraschend, der Name Jean Dubuffet fällt nicht und doch, auch formal, aber vor allem in der Vorgehensweise, wenn Voss vom Moment des Spontanen, der freien Assoziation, spricht, liegt hier eine Nähe vor. Voss ist viel zu klug, als das er nicht wüsste, er schöpft auch aus den Werken Vorangegangener und moderner Verfahren wie Collage, Assemblage, Bricolage und Montage und er steht auf den Schultern vieler moderner Denker, in deren ästhetischen Theorien, Denkfiguren in Form von Konstellationen, Relationen, Labyrinthen, Netzen und Fragmenten wirksam wurden. Insbesondere Theodor W. Adorno insistiert geradezu emphatisch auf dem Rang des Fragments. Dieses ist in eine unauflösliche Dialektik mit Ganzheit gezwungen. Bei Jan Voss sind diese Formen Bild, Relief und Skulptur geworden, wenngleich in unterschiedlicher Weise. Was sich auf dem Papier mit An- und Verknüpfungen von Teil und Ganzem, mit großen und kleinen Zwischenräumen, mit Über- Neben- Gegen- und Untereinanderstapelungen, mit oder ohne Ordnungsrasterungen, noch relativ leicht bewerkstelligen lässt, wird im Bereich der dreidimensionalen Skulptur, auch unter Stabilitätsgesichtspunkten, zur technischen Herausforderung. In vielen Quergängen durch das Fragment als Sprache der Kunst, erkundet Voss dies Terrain und setzt dabei auf Farbigkeit, bisweilen auf Farbfelder, auf denen sich vollständig eingeschlossene oder über dieses Teil hinausweisende graphischen Zeichen tummeln.

Sans titre“, also ohne Titel, stehen die meisten Werke zu und im Buche, dann aber erscheinen sie als „Grands projets“ oder als unbestimmte Gedanken „Vagues pensées“, meist mit französischer Betitelung, selten auf Deutsch. Dabei wird die Begegnung mit einem „Übeltäter“ oder einem „Patient“, einem Publikum als „Auditoire“ oder als „Nouvelle aristocratie“ zu einer großen Re-Vision. Auch diese Bilder werden unterschiedlich zusammengehalten, durch ein strenges, eher rasterartiges, oder freies, sich überkreuzendes, überlappendes oder springendes Liniensystem. Auf, mit oder unter diesem treten die Figuren durch Neugruppierung miteinander in Verbindung. „En route“, so ein Bildtitel, scheint Voss immer zu sein. Mit den ebenfalls farbig gehaltenen Reliefs und Skulpturen gewann er Raum, untersuchte er den Bildraum auf Papier, Karton und mit relativ starrem Material Holz. Das ganze Werke ist art in progress, doch wohin die Reise geht, bei diesem Prozess des Ausschneidens, des Auseinandernehmens und Kombinierens, Zusammenfügens und erneut Zertrennens, Findens und Wiederfindens, davon lässt sich Voss, so auch sein Reden im Interview, immer wieder gern selbst überraschen und es fällt viel in diesen Prozessen viel ab, Negativformen, sagt Voss dazu. Doch auch diese Überbleibsel finden zurück ins Bild. Nicht selten generiert der Abfall aus Zufall einen neuen Einfall. So munter geht es auch bei Linien zu. Sie springen quer, hüpfen vor und zurück, als Gekritzel, als schraffierte Fläche umreißen sie, streichen durch, heben hervor, gerade, rhythmisiert oder hingezittert, die Linie lässt Voss an der langen Leine und das ist seine große Kunst seit vielen Jahren: von Punkt zu Linie zu Fläche und wieder zurück.

Der Katalog gibt, auch wenn er sich ausschließlich mit den Werken der Jahre 2001 bis 2008 befasst, zusammen mit den zwei Texten, einen guten Ein- und auch Überblick zum Œuvre eines Künstlers, der mit einem Bildtitel von 2007, „Relations d’affaires“ immer à jour war und es auf seiner „grand tour“ bleiben wird. Die Welt ist, das ist die Grunderfahrung der Moderne, in Scherben, bei Voss ist sie aus Scherben. Und die bringen das Glück eines Kunstgenusses.

24.3.2009
Sigrid Gaisreiter
Jan Voss. Jean-Christophe Bailly (2008) Œuvres 2001 – 2008. Klappbroschur, 141 S., 135 fb. Abb., Text deutsch-französisch. Bibliographie, Biographie nur in französisch. Übersetzung von Klaus Roth. Galerie Boisserée, Köln 2008. EUR 30,00
ISBN 978-2-351080-54-2
 
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