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Guernica: - Eine Bilder-Biographie

„Guernica“ von Pablo Picasso ist das vielleicht bekannteste Kunstwerk des 20. Jahrhunderts. Am 1. Mai 1937 begann der Künstler, an „Guernica“ zu arbeiten - als direkte Reaktion auf das dreistündige Bombardement des baskischen Städtchens Gernika durch deutsche und italienische Kampfflugzeuge im Bürgerkrieg. Heute ist die im Museo Reina Sofía in Madrid befindliche Arbeit eines der meist beschriebenen, am häufigsten wissenschaftlich untersuchten Kunstwerke überhaupt.

Was Gijs van Hensbergen, den Autor des jetzt erschienenen Bandes „Guernica. Biographie eines Bildes“ interessiert, ist jedoch nicht die kunstwissenschaftliche Einordnung, nicht der Versuch einer inhaltlichen Entwirrung jenes überaus komplexen ikonographischen Systems der als Grisaille, Öl auf Leinwand, gestalteten Darstellung der Apokalypse des 26. April 1937, bei der etwa 1600 Menschen ermordet wurden. Solches haben Autoren wie etwa Max Imdahl, Ludwig Ullmann, Annemarie Zeiller, Siegfried P. Neumann oder Carlo Ginzburg bereits vor ihm geleistet. Gijs van Hensbergens Buch versteht sich als „Biographie“ - eine literarische Gattung, die üblicherweise Personen des öffentlichen Lebens vorbehalten ist. Doch nicht hier: Hensbergen versucht sich an einer Lebensbeschreibung eines Bildes.

Sehr ausführlich erzählt der in England lebende Autor, der mit einer Biographie über Antoni Gaudí bekannt wurde, die Lebens-Stationen eines Bildes, das kein Historienbild im strengen Sinn, aber Erinnerungsbild an einen Akt kriegerischer Gewalt gegen die Zivilbevölkerung ist - doch auch als weitsichtige Ahnung auf noch kommendes Leid und kommende Kriegskatastrophen interpretiert wurde. In nur wenigen Wochen im Auftrag der republikanischen Regierung für den spanischen Pavillon der Weltausstellung in Picassos Pariser Atelier geschaffen, wurde „Guernica“ 1938 in verschiedenen Ausstellungen in England, den USA und Skandinavien präsentiert. Seit 1939 war es im New Yorker Museum Of Modern Art zu sehen, wo es bis 1981 verblieb. 1958 schon hatte Picasso erklärt, „Guernica“, dürfe erst dann wieder in Spanien gezeigt werden, sobald die „öffentlichen Freiheiten“ wiederhergestellt sein würden.

Erst nach dem Tod Caudillo Francos, dem Ende der Diktatur und der Neuerrichtung des demokratischen, republikanischen Spaniens, durfte das 349 x 777 Zentimeter große Werk nach einer testamentarischen Verfügung des 1973 verstorbenen Künstlers wieder nach Spanien gebracht werden, wo es seit 1981 im Casón del Buen Retiro, einem Nebengebäude des Prado, untergebracht war - um seit 1992 schließlich im Museo Reina Sofía in Madrid zu verbleiben.

Van Hensbergens Schilderung dieses Bilder-Lebens ist sehr plastisch und spannend geschrieben, gerade etwa wenn er die Jahre der McCarty-Ära beleuchtet, die „Guernica“ - gemalt von einem offiziellen Mitglied der kommunistischen Partei, dessen FBI-Akte 187 Seiten füllte - im New Yorker Exil verbrachte. „Im Laufe der Zeit verschwanden auf dem Erläuterungsschildchen an der Wand neben dem Bild diskret alle Hinweise auf Franco und den spanischen Bürgerkrieg.“ Es ging darum, so Hensbergen, die politische Sprengkraft von „Guernica“ ohne Gesichtsverlust zu „neutralisieren.“

Auch die jüngeren Diskussionen um „Guernica“ spart Gijs van Hensbergen nicht aus: Seit der Überführung nach Madrid werden die Stimmen aus dem Baskenland immer lauter, das Bild müsse am Ort des Schreckens, im Baskenland selbst, seinen endgültigen Platz finden. „Wir werden die Herausgabe des Bildes bis zu dem Tag fordern, an dem es hier eintrifft“, sagte Gernikas Bügermeister Eduardo Vallejo de Olejua 1991. Für viele Basken ist „Guernica“ zum Symbol nationaler Identität geworden.

Doch seit dem Umzug ins Museo Reina Sofía darf „Guernica“ nicht mehr auf Reisen gehen. Leihanfragen aus Japan und Paris wurden abgelehnt, denn Restauratoren bescheinigen der Leinwand einen alarmierenden Zustand. Bereits 1996 bemühte sich das Guggenheim Museum in Bilbao vergeblich um das Werk - und auch der Wunsch, „Guernica“ anlässlich des 70. Jahrestages des Bombardements am 26. April 2007 im Baskenland zu zeigen, wurde von Kulturministerin Carmen Calvo Poyato abgelehnt. „Hier wurde eine historische Gelegenheit zur Versöhnung versäumt“, resümiert der Autor. Kunstwissenschaftlich betrachtet erfährt der Leser dieses Buches wenig Neues über „Guernica“. Gerade aber die politischen Turbulenzen um das Werk vermag Gijs van Hensbergen überaus lebendig und faktenreich zu erzählen - die politische Biographie eines Bildes, das zu einer Ikone des 20. Jahrhunderts wurde.
18.6.2007


Marc Peschke
Gijs van Hensbergen: Guernica. [Picasso] Biographie eines Bildes. Aus dem Englischen von Nikolaus G. Schneider. 416 S. Gb. Siedler Verlag München 2007. EUR 24,95
ISBN 978-3-88680-866-3
 
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