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Fliegende Kühe und andere Kometen

Humor, Komik, Absurdität und Groteske haben in der zeitgenössischen bildenden Kunst einen festen Platz. Dafür stehen Arbeiten von Bernhard Johannes Blume, Michael Sailstorfer oder Erwin Wurm. Gepflegt wird dieses Genre auch von den Galerien der Stadt Esslingen, der Villa 'Merkel/Bahnwärter' haus. Jetzt liegt der Katalog einer Ausstellung, die dort unter dem Titel "Fliegende Kühe und andere Kometen – Nicht nur komische Dinge in der Kunst" vom August bis Oktober 2006 zu sehen war, vor. Darin Arbeiten von zwölf internationalen Künstlern und zwei Künstlergruppen, der Gruppe Gelitin und des Ateliers Franz West.

Das Komische ist relativ, es findet sich zu allen Zeiten, jedoch wird nicht immer in gleicher Weise darüber gelacht. Trotz großer Fülle von Anschauungsmaterial wurde erst jüngst mit der Arbeit von Roland Kanz in der Kunsthistorik der Versuch gemacht, zu untersuchen, welchen Konditionen, so auch der Titel, "Das Komische in der Kunst" zu verdanken ist. Alle Bestimmungen des Komischen zielen auf eine "Abweichung von der Norm". Dabei kommt es, neben dem "Dass" entscheidend auf das "Wie" an. Positionsvielfalt ist die Folge und diese wird noch bunter schaut man auf die Nachbarn des Komischen, die Groteske und andere Spielarten eines subversiven Umgangs mit den Dingen in der Welt. So ein Ding ist auch ein Buch. Kongenial daher die Anordnung in diesem Ausstellungskatalog, der die herkömmliche Anordnung unterläuft. Das Inhaltsverzeichnis wurde nicht an den Anfang des Buches, sondern, nach der Vorstellung der Arbeiten der an der Ausstellung beteiligten Künstler, in das letzte Drittel gestellt. Im Anschluß daran finden sich Textbeiträge zum Thema.
Petra Mostbacher-Dix, die zusammen mit Bettina Besler ein sehr informatives Glossar von Burleske bis Zynismus einrichtete, befragte die Kuratoren der Ausstellung Andreas Baur und Ludwig Seyfarth zum Ausstellungskonzept.
Im Anschluß daran stellt Seyfarth die Bild- und Materialstrategien der beteiligten Künstler in Kurzporträts vor. Sehr schön ist auch die Geschichte, die Wolfgang Müller in seinem Textbeitrag, als ein Stück aus dem Kapitel des unfreiwilligen Komischen, erzählt. So verstand eine zu einem Symposion eingeladene Künstlerin statt "Elves" (Elfen) "Elvis" und tauchte in Rock 'n Roll Kostümierung auf.

Mit einer Gitarre aus Stoff tritt John Bock (*1965) auf. Er kann dem Ding natürlich keinen Ton entlocken, obwohl er bei dem Auftritt mit dem Instrument die Glieder grotesk verrenkt.
Auch in die Kategorie des Grotesken, einer Verzerrung nicht zusammenpassender Elemente, fallen die Arbeiten von Marcus Weber (*1965). Der Künstler läßt auf realistisch gemalte Häuser schleimige Flüssigkeiten fließen oder Rohre aus Fenstern wachsen, die ornamental angeordnet sind.
Einen distanzierten Blick auf die technische Zivilisation wirft Zilla Leutenegger (*1968). In ihrer Arbeit "Level 49 / 1-3" konfrontiert die Künstlerin den Betrachter mit fotografierten modernen Verkehrsströmen, die anschließend auf Reliefskulpturen aus Holz projiziert wer-den. Fliessräume staut Leutenegger wohin man schaut als intelligenten Kommentar ohne Worte.
Ein Stichwort fehlt im Glossar des Katalogs, Absurdität. In dieses Fach fallen die Erfindungen von Julien Berthier (*1975). Zeitgenossen werden sie als "nutzlose Patente" ansehen, allesamt ironische Kommentare zur Verbesserung der Welt. Als utopisch und antiquiert zugleich erscheint das Projekt "Autarcie" in einer Zeit, die von der immer stärkeren Verflechtung der Gesellschaften ausgeht, andererseits wirken die zur Stadtlandschaft gestapelten Container, die alles enthalten, was eine Gesellschaft benötigt, wie ein ironischer Kommentar auf architektonische stadtplanerische Phantasielosigkeiten und antizipieren womöglich die Zukunft. Dass aus fiktiven Erfindungen, die viele Zeitgenossen zunächst irritierten, Wirklichkeit werden kann, dafür gibt es gleich mehrere Beispiele. So entwarf Jules Verne U-Boote und Jonathan Swift läßt in "Gullivers Reisen" die Akademie von Lagado eine textherstellende Maschine erfinden, eine kühne Vorwegnahme des textverarbeitenden Computers.

Zunächst unglaubliche Erfindungen veränderten die Welt und manche davon stammten von Künstlern. Ob nun die phantasievollen Arbeiten der hier Versammelten dazu gehören werden steht nicht fest, eines aber schon, sie bieten viele Formen der Möglichkeitsverschiebungen des Realen. Mit den ausgelegten Kunstködern schärfen sie den Blick auf den häufig doppelbödigen Alltag, der erst richtig Spass macht, wenn es auch mal alogisch zugeht.
3.6.2007




Sigrid Gaisreiter
Fliegende Kühe und andere Kometen. Nicht nur komische Dinge in der Kunst. Von Baur, Andreas /Besler, Bettina/Mostbacher-Dix, Petra /Müller, Wolfgang /Seyfarth, Ludwig. Hrsg. v. Baur, Andreas /Galerien d. Stadt Esslingen am Neckar. 116 S., 115 sw. Abb. 30 x 23,5 cm. Verlag f. mod. Kunst, Nürnberg 2007. Pb EUR 19,00
ISBN 3-939738-20-4
 
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