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Strictly geometrical

"Don Juan oder die Liebe zur Geometrie", eine Komödie, wird, ohne den Autor Max Frisch und dessen Protagonisten, im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen vom 30.7. bis 24.9.2006 als zweiter Teil eines Ausstellungsprojekts zur abstrakten Kunst der Gegenwart, der erste Teil war organoidem Bildvokabular vorbehalten, mit "Strictly geometrical?" aufgeführt und in einem Katalog dokumentiert. Von den Kuratorinnen Theresia Kiefer und Lida von Mengden wurden 22 Künstler ausgewählt, Auskunft zum Stand der geometrischen Abstraktion in seiner Vielfalt zu geben und auf die Sammlung des Museums, das der abstrakten Kunst in seinem Varianten Minimal, Konkrete und Konstruktive Kunst, Suprematismus, Fu-turismus, gewidmet ist, aufmerksam zu machen. Die Lage ist nicht neu, nachdem die Aufbruchseuphorie der klassischen Avantgarde verpufft ist, sehen, so meint es jedenfalls Boris Groys, heutige Künstler ihr Schaffen nicht mehr als ein Repräsentationsverhältnis, sondern sie bedienten sich aus dem vorhandenen künstlerischen Form- und Stilvokabular um dieses neu zu kombinieren, zu variieren und zu situieren. Das Zauberwort heißt Dekonstruktion und daran knüpfen die Kuratorinnen an. Präsentiert wird ein Stil- und Formmix. Das gehört heute zum guten Ton, hier als Crossover, mit ironisierenden und monumentalisierenden Bezügen zu Architektur, Design, Skulptur, Mode, Film, Video und computergenerierten Formen und Farben, wie bei Angela Bulloch.

Nach drei Textbeiträgen, die u.a. den historischen Wurzeln derzeitiger abstrakter geometrischer Kunst gelten und alte Abgrenzungen konkreter von abstrakter Kunst für überholt erklären, wird, das schließt an den Katalog zu den "floating forms" an, ein Paradigmenwechsel verkündet. Das der Reduktion sei überholt, das neue wird als "Komplexität" bezeichnet. So neu, sieht man auf die Sozialwissenschaften, ist dies zwar nicht. Im künstlerischen Zusam-menhang gesehen, bedeutet dies, einem hierarchischen Konzept und dessen Abgrenzungen, die klassische Moderne steht dafür, stellt man ein Konzept "verschiedene(r) gleichwertiger Formen" gegenüber, die neue Verbindungen eingehen. Auch das ist, kunstimmanent gesehen, sowohl praktisch als auch theoretisch, so neu nicht. Seit längerem firmieren diese Bildstrate-gien, theoretisch wie praktisch, unter Postmoderne. Wie auch immer, auch ohne dieses neu ans Licht geholte Konzept, kommt der Beitrag von Theresia Kiefer aus. Sie nimmt den Leser mit auf einen Rundgang durch die Ausstellung unterschiedlicher Positionen, untergliedert nach Medien, vom klassischen Tafelbild über Rauminstallationen bis zur Fotografie. Es folgt im Katalog ein Mittelteil, ein alphabetischer Parcours, der bis auf John Armleder, einem grö-ßeren Publikum eher unbekannte Künstler vorstellt. Nach einer Kurzbiographie folgen, von einer Reihe von Beiträgern, erläuternde Texte zum künstlerischen Ansatz des jeweiligen Künstlers.

Den Kuratorinnen ist es gelungen eine beachtliche Fülle möglicher Positionen zusammenzu-tragen. Torben Giehler etwa spielt mit seinem Tafelbild "Supersize me" auf eine Arbeit Piet Mondrians an, durchbricht aber dessen Zwei-Dimensionalität und erzeugt, virtuellen Räumen ähnlich, einen knallbunten Raum. Diesen Effekt steigert der Künstler dadurch, dass er mit sich überlagernden Farben arbeitet. Läuft Giehler in Richtung der Ästhetik digitaler Medien, so kehrt David Moreno um, den der Zusammenhang von Analogtechnik, hier die Arbeit -"Quietly Oscillating"- und natürlichen Phänomenen interessiert. Einen dritten Zugang zum Raum wählt Michael Reiter mit seinen Installationen, die, wie "344 yds(Spirale)", als räumliches Gebilde in Verspannungen von Farbbändern, den Raum als Spirale auch zeitlich struktu-rieren. Dagegen muten die Bilder von Michael Schmeichel puristisch an. Sie beschränken sich auf die essentiellen Aspekte der Malerei, Fläche, rechteckige Form und Farbe, Monochromie und verändern sie doch entscheidend. Durch Biegen und Verziehen des Rahmens wird das traditionelle Tafelbild in den Raum transferiert, generiert damit neue Formen und gibt den Raum hinter dem Bild dem Betrachter zurück

Die Liebe zur Geometrie blüht auch in der Künstlergeneration jenseits von Imi Knoebel, Blinky Palermo oder Günther Förg, das zeigt der Katalog eindrucksvoll, die "subjektive Selektion", die der Museumsdirektor Richard W. Gassen in seinem Vorwort aufgriff, ist geglückt. Am Ende der Tour verwandelt sich deshalb das Fragezeichen in ein Ausrufezeichen. Hinsichtlich des annoncierten Paradigmenwechsels allerdings bleibt das Fragezeichen in Kraft. Wie in einem Katalog von Holzwarth Publications zu Günther Förgs Arbeiten von 1973-1990 sichtbar, bereits Mitte der 1970er Jahre arbeitete er in einem Crossover aus raum-bezogener und raumgreifender Malerei, verband material- und medienübergreifend diese mit Fotografie und Skulptur zu komplexen Installationen. Nicht zuletzt reflektierte Förg in einem Gespräch mit dem Herausgeber, Thomas Goetz, darüber, die Werke der klassischen Avantgarde zu "gebrauchen", hiermit liegt er ganz auf der Linie von Boris Groys. Auch bei Förg, wie bei Torben Giehler, die Referenz heißt Piet Mondrian. Wenn es einen Paradigmenwechsel gab, dann muss dieser früher, als im Katalog annonciert, angesetzt werden. Schließlich beob-achtete schon Th. Adornos Ästhetik auf Verfransungen der Gattungen. Formen wandern von Künstler zu Künstler und der Weg wird in Bild und Text transparent gemacht. Auf dieser Ebene liegt der Gewinn dieser Ausstellung und des vorzüglich ausgestatteten Katalogs.
11.12.2006


Sigrid Gaisreiter
Strictly geometrical. Abstract art now. Beitr. v. Mengden, Lida von /Kiefer, Theresia. Hrsg. v.Wilhelm-Hack-Museum,Ludwigshafen. 128 S., 65 fb. Abb. 25,5 x 20,5 cm. Gb. Kerber, Bielefeld 2006. EUR 34,90
ISBN 3-938025-93-X
 
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