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Licht und Farbe in der Russischen Avantgarde

Der umfangreiche Katalog zum gleichnamigen Ausstellungsprojekt in Berlin, Wien und Thessaloniki bietet eine Fülle an Hintergrundmaterialien und Abbildungen aller gezeigten Kunstwerke. Die zehn Sektionen der wichtigen Ausstellung - angefangen bei dem Thema 'Schwarz' über 'Farbvorstellungen' oder 'Das Studium der Farbe' bis hin zu 'Weiß' - lassen sich, obgleich die einzelnen Werke nur selten ausführlich beschrieben und in unterschiedlicher Abbildungsqualität vorgestellt werden, doch mit einigem Gewinn lesend nachvollziehen. Das Werk vereint etliche Aufsätze und Auszüge künstlerischer Manifeste der russischen Avantgarde und leistet dadurch unbestritten einen wichtig kulturellen Beitrag.
Unklar bleibt allerdings, warum Charlotte Douglas' Artikel über „Wilhelm Ostwald und die russische Avantgarde“ (S. 30-39) sowie Jean-Claude Marcadés Reflexion „Über das Licht“ (S. 40-43) als Essays bezeichnet werden, nicht aber die übrigen 17 wissenschaftlichen Artikel und auch nicht die ausgesprochen spannenden „Erinnerungen an Georgios Costakis“ aus der Feder von Aliki Kostaki, der Tochter des Sammlers (S. 15-18). Dass dem Band rund 17 Textauszüge relevanter Schriften von Persönlichkeiten wie Ljubow Popowa, Iwan Kljun, Kasimir Malewitsch, Maria Ender, Gustav Kluzis oder Wassily Kandisky beigefügt sind, macht Sinn (wenn auch von dem Verfasser des bekannten Werkes „Über das Geistige in der Kunst“ in der Ausstellung selbst keine Arbeit zu sehen ist).
Da sich diese Texte, die zumeist wie etwa der INChUK-Fragebogen (S. 248-251) von größtem Interesse sind, leider gegenüber dem Layout der Artikel nicht klar genug abheben, entsteht eine gewisse Verwirrung beim Leser, bis dieser bemerkt, dass er sich gerade wieder einmal in ein historisches Schriftdokument einzulesen begonnen hat. Denkbar wäre hier gewesen, jene Texte zweispaltig oder auf farbigem Papier wiederzugeben.
Positiv hervorzuheben ist demgegenüber, dass alle Texte ab Seite 405 dann auch in Englisch vollständig abgedruckt sind. Bezogen auf die insgesamt 44 Biografien der Künstlerinnen und Künstler hätte jeweils eine Schwarzweißfotografie das Verhältnis zwischen Werk und Schöpfer freilich noch lebendiger werden lassen. Immerhin dürften Namen so bemerkenswerter Künstler wie Boris Ender, Maria Ender, Xenia Ender oder Juri Ender, die das Licht als wesentliches Element in der Malerei propagierten, eher nur Spezialisten geläufig sein. Die seltenen Fotos im Katalog (Costakis in seiner Moskauer Wohnung, S. 28; Porträt Wilhelm Ostwald, S. 30; Kandinsky mit Frau, S. 139; UNOVIS-Schule in Witebsk, S. 147; M. Matjuschin im Kreis seiner Studenten, S. 198; Gustav Kluzis / VChUTEMAS-Institut, S. 231; Ljubow Popowa, S. 259; Alexander Rodtschenko, S. 342; Malewitsch, S. 351) ziehen denn dann auch die Aufmerksamkeit des Lesers sofort auf sich.
Mängel sind diesem Band in erster Linie hinsichtlich der Abbildungen festzustellen. So ist Boris Enders „Bewegung der organischen Form“ von 1919 spiegelverkehrt abgebildet (S. 207) und bei Solomon Nikritins Ölbild „Die Verbindung zwischen Malerei und Architektur“ aus dem Jahre 1919 wurde die weiße Leinwand, vor welcher sich das hochrechteckige Werk dem Betrachter darbietet, nicht mit abgebildet ist, so dass eine falsche Vorstellung der großartigen Komposition, zu der eben jene sie umgebende weiße Leinwand doch gehört, entsteht (S. 178). In Iwan Kljuns siebenteiliger Arbeit „Suprematistische Studie über Farbe und Form“ lassen sich die Farben Dunkelgrün, Schwarz und Blau der entsprechenden Studien sehr schwer unterscheiden und drei der sieben Formen auf weißem Hintergrund sind angeschnitten (S. 105-151).
Umgekehrt ist aber auch zu betonen, dass es viele Stellen in dem Band gibt, wo sich Bilddetails minutiös studieren lassen wie zum Beispiel im Fall von Spezialuntersuchungen zur Bildgestaltung bei Iwan Kljun (S. 241, 243, 245, 246). Auch macht die gelungene Gegenüberstellung von zwei je „Malerisch-Musikalische-Konstruktion“ betitelten Werken Michail Matjuschins aus dem Jahre 1918 (S. 200-201) ebenso wie eine solche von zwei Werke Iwan Kudrjaschows (S. 80-81) deutlich, wie intensiv die Wirkung der Werke der Sammlung Costakis auch für Leser plötzlich werden kann. Solche spannenden Momente hätte man sich als Nutzer noch viel mehr gewünscht.
Wenn auch der Katalog den ersten Eindruck, dass hier ein Band sehr schnell produziert wurde, nicht wirklich widerlegen kann, so lohnt seine Lektüre dennoch, da er seine Leser neugierig zu machen imstande und so einer Beschäftigung mit dem Phänomen der russischen Avantgarde förderlich ist - und nicht zuletzt auch deshalb, weil über ihn viel Bildmaterial leicht zugänglich wird.

22.5.2005
Matthias Mochner
Russische Avantgardekunst 1910-1930. Die Sammlung George Costakis im Thessaloniki State Museum of Contempor ary Art. Hrsg. Papanikolaou, Miltiadis. 300 S., 70 fb. Abb.. Gb. DuMont, Köln 2004. EUR 48,-
ISBN 3-8321-7404-4
 
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